Donnerstag, Mai 09, 2013

Hitzschlag, Gewehre und Geschichten in Hampi

[Hua Xai, Laos 09. Mai 2013]

Ich bleibe viel länger, als geplant. Steh früh auf, unternehme lange Wanderungen und probiere vor 11:00 aus der Hitze rauszukommen, was mir nicht immer gelingt.
Das das sonst ganz schön unangenehm werden kann, lern ich gleich am ersten Tag.

Ich mach mich um 6h30 auf den Weg. setze mit einer Nusschale über den Fluss und lauf durch die erodierte, blanke Felsenmasse völlig einsam zum einem der berühmtesten Tempel Hampis (Vitthala Swampi). Der kostet Eintritt. Das wäre ein Kombiticket, und ich könnte damit auch die 12km entfernten, anderen Tempel besichtigen; so erklären mir das die drei bewaffneten Securityposten.
Da ich aber nur in den will, lässt man mich für die Hälfte rein - mein Eintrittsgeld verschwindet statt in der Kasse vor meinen Augen direkt in den drei Hosentaschen des Sicherheitspersonals... Aha.

Ich mach mit meinem iPhone eine Panoramaaufnahme und hab Zwei der Drei hinter mir. "Oooh, Apple!" Wie viel denn so ein iPhone wert wäre, wollen Sie wissen... 
Also langsam wird mir hier aber ganz schön mulmig...

WTF - Wohin soll das führen? Denk ich mir und setz mich in den Schatten. Ich bin mit den drei Gewehren hier in den Vormittagsstunden ganz allein...
Zum Weiterknipsen hab ich nicht so richtig Lust. Will meinen "Wert" nicht noch weiter steigern ;-)
Als ich noch rumgrübele, kommt ein Truppentransporter der indischen Armee und setzt zwei Dutzend Soldaten ab, die hier ebenfalls Sightseeing machen.
Jawollja, selten hab ich mich über im Bild stehende Soldaten mehr gefreut ... ;-)

Ich versuche einen Überblick von oben zu bekommen und fang an, die den Komplex einfassenden, wie riesige Murmeln aberodierten Felsen zu erklettern...
Hui - die Felsen sind nicht nur von ekelhaft störrischen Dornenbüschen umrahmt, nein, sie schirmen auch das bisschen Wind ab, das unten im Tempel für ein wenig Luft gesorgt hat.

Egal.
Ich komm nicht weiter. Durch die Dornenbüsche führt jedenfalls kein Weg. Auch an lichten Stellen bohren sich die Dornen in meine Kleidung, halten mich wie Fangarme. Ignorier ich das und geh einfach weiter reissen, sie mir tatsächlich Löcher ins Shirt anstatt einfach abzubrechen. So widerspenstig! Unglaublich.
Auuu! Die Borsten der Kletten hängen in meinen Socken und stechen in die Haut. Das Unterholz hier hat mich gern. Lechzt schon fast nach mir, hält sich fest, als ob ich sie mit aus der Hitze nehmen soll.
Puh! Nur an den Dornbusch-freien Stellen geht es nach oben, nach oben, nach oben. Raus hier - sauanstrengend. Hier bloss nicht umfallen. Hier sucht Dich keiner! Ich merke wie mein Körper überhitzt. Die Schatten sind zwar noch recht lang, aber die Betriebstemperatur schon im roten Bereich. Ich trinke Wasser in kleinen Schlücken. Das ist ebenfalls bereits sauwarm, aber dennoch köstlich.

Das Klettern wird einfacher. was gut ist, denn mir wird schwindelig. Kein Gebüsch mehr, nur Steinmurmel an Steinmurmel. Teilweise bizarr aufgetürmt. Sehr griffiger Fels. Es geht jetzt zügig voran. Das erste Lüftchen lässt sich schon wieder blicken...
Der Weg nach oben hat sich gelohnt. Der Wind ist wieder da und föhnt das angerissene, völlig durchgeschwitzte Shirt trocken. Der Blick macht die Strapazen weg.

Kaum bin ich von den höheren Felsen wieder runter, hat mich die Hitze wieder. Hilft ja nix. Ich steige ab und laufe dem von grünen Kokospalmen eingerahmten Fluss entlang. Der Virupaksha Tempel kommt in Sicht. Wow. So wie der sich in die Luft reckt erinnert er an einen Inka Tempel. Da kann man die vergangene Kultur förmlich spüren! Das Treiben in den Gässchen der Hochkultur, der Handel mit Rosen, Gewürzen, Edelsteinen. Elefanten in den Gassen. Opfergaben auf den Altaren...
Yeah! Opfergaben. Unschuldige, die in der Hitze freiwillig blutrünstig bei lebendigem Leib gegart werden...
Häh? Ich fang an zu spinnen, denn ich bin trotz Mittagshitze bereits wieder auf dem Weg nach oben:


Mann! Ist das heiss! Die Hitze knallt jetzt nicht nur von oben sondern auch von überall von den Felsen auf mich ein. Links, rechts, oben, unten, überall strahlt die Hitze. Die Sohlen meiner Schuhe schmatzen am Boden - bild ich mir das ein, oder ist das schon so heiss, dass die Schuhsohlen weich werden?

Meine 3l Wasser sind alle und der Zeiger nahe an der 12:00h - höchste Zeit nun aber wirklich aus der Sonne rauszukommen. Ich steige ab, wandere recht benommen an einem von Ziegen und Affen bevölkerten Tempel vorbei und komme endlich in Hampi an. Ab in den Schatten eines Restaurants. Der Ventilator kühlt nicht. Auch die kalte Cola kühlt nicht. Mir wird kräftig schwindelig. Mein Gehirn fühlt sich an wie eine köchelnde Portion Risotto auf der Herdplatte aus der die Gemüsebrühe verdunstet. What?

Meine Hütte inkl. Wachhund
Ich muss mich hinlegen, schlepp mich zu Mardan und hänge ab. Ohne nur ein Wort zu sagen, hänge ich den gesamten Nachmittag in einer Hängematte, trinke galonenweise Kühlwasser für den Reaktor und starre an einen Punkt. Kein Kopfweh, keine Überlkeit, nur Brei in der Birne.
Ich hoffe, das Risotto ist bald fertig.

Gegen Abend päppelt mich Mardan's Caj wieder hoch und ich geh früh ins Bett.
Intensive Alpträume bereiten mir eine recht irritierende Nacht.

War das ein Hitzschlag? Wenn nicht, dann war ich wohl nah dran.
Im Laufe der nächsten Tage erinnere ich mich an einen alten Trick, die Hitze aus dem Körper zu bekommen: Wadenwickel!
Und so sieht man den Marc an den nächsten Abenden des öfteren mal mit einem nassen Handtuch um Birne und Waden. Sieht bescheuert aus - funktioniert aber!

Einen Schlag der anderen Art krieg ich anderentags auf dem weitläufigen Gelände der Ruinen des königlichen Hofes. Hier springen aus dem Nichts drei Soldaten mit prächtigem Schnauzbart - und gewaltigen Sturmgewehren!
Ihre Gesten sind eindeutig: "Herkommen!" "Hinstellen!"
"Photo machen" ;-)

Mann, ihr könnt einem aber auch einen Schrecken einjagen, denk ich mir, während der Schreck langsam, Aufnahme um  Aufnahme in der Mitagshitze vergeht...

Neben der Natur und der vergangenen Kultur macht vor allem auch das Guesthouse mit ihren Charakteren den besonderen Reiz diesen Ortes aus.
So z.B. Susi aus Spanien, die in einem weissem Saree rülpst, Rotz hochzieht und ausspuckt wie eine Rotznase aus der dritten Klasse.
Oder Max und Jason aus Australien - beide in den Twens und seit 4 Wochen da - sind aber noch nicht einmal jenseits des Flusses in den Tempelanlagen gewesen.  Max erinnert mich sehr an Sebi, einen Freund aus meinen Twens.
Ähnliche Weltanschauung, ähnliche, grundlegende Gespräche. Nur Max setzt sie um. Ist Geschäftsführer einer Firma, die in einem Think Tank Co2 negative Produkte entwickelt. Also z.B. an einem Plastikputzhandschuh arbeitet, in dem Pilzsporen eingearbeitet sind. Diese Pilzsporen zersetzen den weggeworfenen Handschuh und lassen so - in Verbindung mit Wasser - aus dem ehemaligem sterilen, undurchdringlichen Plastik Dünger für den Boden werden…

Ein anderer, alter Bekannter begegnet mir tags drauf. Thomas Volk in der Gestalt von Thomas Wirsing. Thomas ist von Mardans Skate Bowl angelockt worden. Die Skate Bowl haben vor ein paar Wochen ein paar Deutsche Mardan hinterlassen. Die kamen aus Bangalore vorbei, wo sie Bangalore's ersten Skatepark gebaut haben - sponsored by Levi's.
Die drei hatten von dem Sponsorengeld noch was übrig und so haben sie kurzerhand innerhalb von einem Tag Mardan mit Beton eine Bowl in das Cafe gegossen.
Und die lockt jetzt Thomas an, der für ein Filmprojekt durch Indien reist - oder besser skatet. "Skating India" sozusagen.
Auch andere Skater lassen nicht lang auf sich warten. Vincent + Bruder + Freundin aus den französischen Pyrenäen oder die Meute aus den Malediven.

Und da wäre noch Ferdinand. Ein hagerer Deutscher auf Plastikmission. Er durchkämmt die Gegend seit drei Jahren und missioniert mit einer unglaublichen Energie die Dörfchen in der Umgebung, Plastik zu sammeln anstatt sie achtlos in die Gegend zu feuern. Das gesammelte Plastik trennt seine Organisation und bringt sie zum Recyceln nach Bangalore.
Nebenbei kümmert er sich um tollwütige Hunde. Bzw. versucht Prozesse zu etablieren, um die Tollwut zurückzudrängen. Wurde erst letzte Woche von 'nem tollwütigen Hund gebissen, der Kerl. Er hat im Gegensatz zur grossen Mehrheit allerdings einen vollständigen Impfschutz. Was für ihn also kein Problem darstellt ist für die überwiegende Mehrheit der gebissenen Menschen hier nach wie vor der sichere, qualvolle Tod.

Damit das anders wird, versucht er sich um die Hunde zu kümmern, bzw. deren geordnete Einschläferung zu organisieren. Wenn überhaupt, werden die Tiere zusammengetrieben, mit Steinen archaisch erschlagen und in den Fluss geschmissen.
Ferdinand erzählt von zwei Leoparden(!) in den Ruinen von Hampi, die sich ebenfalls um den einen oder anderen Hund "kümmern". Und bestätigt die Notiz des Reiseführers, das in dem Flüsschen unten Krokodile leben!
Ich hatte den Hinweis im Reiseführer für Lokalkolorit gehalten, ist der Fluss doch fester Bestandteil der Dorfbevölkerung, die darin waschen, planschen und ihn tagtäglich durchwaten…
Auch zu nennen die ganzen Anderen: die Babas, die Gurus, die Dschillum Kiffer. Alkies. Musiker, die auf ein Lied oder zwei zum Caj vorbeikommen.

Die Tage vergehen. Die Nächte im Reisfeld sind intensiv. Bringen intensive, teils furchtbare Träume. Ich seh mich tagelang nicht im Spiegel - einfach aus dem Grund, weil es keinen in dem "Gemeinschaftsduschraum", in dem ich zusammen mit den anderen Hofbewohnern dusche keinen hat… "Gemeinschaftsduschraum" ist nett benannt. Eigentlich ist der Abort für den von zwei Felswänden eingegrenzten Betonguss nur ein gefliestes Loch im Boden mit kaltem Wasser...
Aber reicht für das abendliche, nasse Handtuch um den Kopf ;-)

Das Leben ist einfach, aber komplett. Strom ist meistens nur 2 Stunden am vormittag und 2-3 Stunden am Nachmittag da.
Mardan kocht auf offener Flamme, also störts nicht wirklich. Der Caj läuft und die selbst gemachte Limonade aus Kräutern aus seinem Garten ist himmlisch!

Wenn ich des nachts zwischen den draussen schlafenden Hofbewohnern durchlaufe, seh ich immer eine kleine Familie auf Decken auf dem Boden schlafen. Mann, Frau, Kind und Ziege teilen sich eng an eng das bisschen Beton vor ihrem Verhau. Als ich morgens zum Sonnenaufgang zum Wandern aufbreche laufe ich wieder an der Familie vorbei - immer noch eng an eng schlafen die vier im Morgengrauen. Jetzt allerdings im Dung der Ziege…
Bild gibts an dieser Stelle keins - es reicht, wenn sich das Bild auf meiner Netzhaut einbrennt.

Das Virupaksha Car Festival beginnt für die angereisten Hindus mit einer Waschung in der heiligen Furt. Obwohl die Frauen natürlich voll angezogen in ihren Sarees ins Wasser gehen, fühl ich mich dennoch ein wenig wie ein Spanner.
Das Teleobjektiv der Kamera hilft Voyeur Marc ein wenig, den Leuten nicht mehr als nötig ins Badezimmer zu schauen. Ganz so schlimm ist es auch nicht; ab und zu wird sich sogar für meine Kamera in Pose gestellt - in welches Mass das im Laufe des Tages dann noch ausarten soll, weiss ich jetzt noch nicht..




Mein erstes indisches Festival ist unglaublich! Alles dreht sich um zwei riesige Wagen, die festlich geschmückt mittels zwei grossen Tauen und unzähligen Händen einmal die ehemalige Prachtstrasse von Hampi hinunter und wieder hinaufgezogen werden. Damit niemand unter die massiven, eisenbeschlagenen Räder gerät, laufen Polizisten mit, die die Menge vor den Wagen mit Stöcken auseinandertreibt.

Die Menge selbst hat Spass; junge Männer tanzen sich in Rage; manche bemalen sich mit Farbe; alles jubelt, kreischt - und wirft Bananen auf den Wagen!
Umgekehrtes Karneval-Kamelle-Schmeissen sozusagen.
Alternativ stopft man die indischen Kamelle dem seelenruhig, mitten in der Menge trottenden Elefanten in den Rüssel. Verrückt.

Das Fest hat klar vier Attraktionen: die beiden Wagen, der Elefant - und Teutonenmarc, der die meisten hier um zwei Köpfe überragt.  Und dann noch genauso weiss ist, wie sein T-Shirt! Mit hellen Augen! Ich rangiere hier ganz klar unter dem Rang eines Freaks und bin eigentlich ganz froh, dass die Meute nicht anfängt *mich* mit Bananen zu bewerfen ;-)

Die, die nicht staunend gaffen, lachen und winken. Sobald ich irgendwo stehenbleibe, arrangiert sich ein Pulk zur Fotosession mit mir. Immer mehr kommen dazu, immer mehr wollen mit mir fotografiert werden, meinen Namen wissen, wissen, wo ich herkomme. Ich muss mich kontinuierlich bewegen, da ich sonst aufgrund dem Pulk um mich herum Platzangst kriege. Ich schüttele abertausend Hände, werd mit Farbe beschmiert. Als ich die Prachtstrasse ein zweites Mal hochlaufe, grölt die Menge meinen Namen - oft genug haben sie ja danach gefragt :-)
Verrückt, fantastisch, indisch! Klickt links aufs Bild und seht ein paar bewegte Bilder auf Youtube


Vier Attraktionen stimmt nicht ganz. Eine weitere, traurige entdecke ich etwas abseits: Eine Sippe mongoloider Albinos. Farbpigmentfreie, weisse Haare und Augenbrauen; barfuss, die Mädchen in Sarees, die Jungs nur in Hosen. Alle mit fratzenhaften Gesichtern. Alle fürchterlich verbrannt. Ein grausames Bild. Bitteschön:


Am nächsten Tag setz ich meinen Weg nach Süden fort. Zunächst in nem öffentlichem Bus, der mich an der Fernverkehrdrehscheibe Hospet rauslässt. Ich finde den privaten Busanbieter, der mich nach Mysore bringen soll. Im Wartebereich vor der Travel Agency treffe ich drei Italienerinnen, die dem Semioffiziellen klarmachen, dass sie nach *M*angalore wollen, nicht nach *B*angalore. Der Semioffizielle nickt und murmelt "*MmmB*angalore", woraufhin das Spiel von vorne losgeht - mit wachsendem Armeinsatz der Italienerinnen: Alle fünf Finger der rechten Hand berühren sich und zeigen nach oben; dazu wird das Handgelenk an- und abgewinkelt.
Die indische Antwort dazu: das berühmte Kopfnickelwackeln. 
Wunderbares Kino!!

Schliesslich fährt ein Nachtbus ein und die Drei werden hineingescheucht. So verschwindet der Bus - hoffentlich nach *MmmB*angalore. 
Buona Fortuna! ;-)