Zielsicher steuert sie am Neujahrsmorgen die Gondel zum Zuckerhut als erstes Sightseeing Ziel an. Genauso zielsicher vorbei an der ca 50m(!) langen Schlange die da aus der Talstation ragt. Und siehe da. Innerhalb der Station eine Kasse, an der niemand wartet.
Verstehen muss ichs nicht - Karten kaufen schon. Gesagt getan und schon sind wir in der naechsten Gondel rauf auf den Zuckerhut
.
Oben dann ein fantastischer Blick auf die Stadt, ihre geschwungene Buchten mit den beruehmten Stadtstraenden. Dazwischen hohe, abgeschliffene Felsen. Auf einem davon blickt Christus mit ausgebreiteten Armen hinab. Toni dagegen haengt mit verschraenkten Armen easy in ihrem Buggy ab und verpennt 2/3 der Aussicht. Die wird sich mal aergern...
Genau diese Statue auf dem Corcovado ist unser naechstes Ziel. Wieder unten erzaehlt uns der Taxifahrer des naechsten "erbeuteten" Taxis (vor der Station geht es in der Tat zu: noch mehr Leute wollen hoch und die, die oben waren, wollen weg) das heute auf dem Corcovado niemand mehr hochkommt. Auf dem Zufahrtsweg ist ein Auto liegengeblieben und der Rest kommt weder vor, noch zurueck. Ein Kollege waere oben eben angekommen; nach 31/2h Fahrt. Am naechsten Tag werden wir erfahren, das da kein Auto liegengeblieben ist, sondern jediglich ein schief geparktes Auto zuviel da oben den Hochgeschwindigkeitstransfer ausgeloest hat...
Wir disponieren um und fahren zur Stadtbahnhaltestelle der ollen Stadttram nach Santa Teresa. Hier faehrt eine uralte, aussen offene Strassenbahn - aehnlich dem CableCar in SanFransisco - hoch auf den Huegel, auf dem frueher mal die Reichen und Schoenen Kaffebaronen hausten, bevor sie sich entschlossen an die Copacabana umzusiedeln.
An der Trambahn angekommen erwartet uns bereits eine weitere Menschenschlange. Diesmal ohne Aussicht auf Abkuerzung.
Fuch und Segen des Neujahrtages, eines der wenigen Feiertage der Brasil
Alle drin befindlichen Laeden sind zu.
Alle.
Tja, und dieser Segen der uns diese flotte Fahrt durch diese strange Geisterstadt ermoeglicht, ist eben auch ein Fluch, da die Trambahn im Feiertagsmodus faehrt: 1 Linie statt 2, 30min statt 15min Takt.
Steil nach oben gehts. Und wieder sind wir nicht alleine vor den einzigen zwei Restaurants, die dort oben offen haben. Waehrend wir wie Suender auf Einlass warten, erzaehlt mir Jess das direkt oberhalb St. Teresa eine Favela anfaengt.
Bei ihre letzten Besuch hat Silvia hier zwei Amis in Tourimontour gerade noch zurueckgeholt. beide waren im Begriff direkt in die Favela aufzusteigen und damit ihre Wertsachen zu "spenden".
Wir haben genug vom Warten in der Schlange und fahren - richtig, per Taxi - hinab zur Laufweite zur Escadaria Selaron. Hier arbeit seit 20 Jahren der Schorsch, Verzeihung der Jorge an einer Treppe, in die er unterschiedlichste Fliesen aus aller Welt zu einer Art grossem Mosaik zusammenfuegt.
Bevor es aber zu dieser Treppe geht, gibt es einen (recht teuren) Haps zu Essen. Immerhin ist das Personal super freundlich - wie eigentlich ueberall in Brasilien. Und auch das auf -3 Grad gekuehlte Schopi schmeckt geil bei dieser Hitze.
Obwohl die Treppe wohl in Laufweite liegt empfiehlt man uns im Restaurant unbedingt ein Taxi zu nehmen.
Als wir im Taxi sitzen, wird mir klar warum.
Ueberall ziemlich abgerissene Gestalten, barfuss, oben ohne nur in Shorts mit filzigen Haaren.
Der Taxifahrer hat keine Ahnung wo Rio's - laut Reisefuehrer - drittberuehmteste Touristenattraktion hier in der Naehe sein soll und muss erstmal anhalten. Mitten im Geschmeiss.
Zeit sich die Leute genauer anzuschauen - und Zeit fuer die Leute sich uns genauer anzuschauen.
Im Hauseingang links druecken sich drei keine Jungs rum um der Hitze zu entgehen. Alle drei barfuss und nur eine Badehose an. Zwischen den abgerissenen Leuten ueberquert ein junges Maedchen - hochschwanger - die Strasse. Rechts laeuft ein verfilzter Kerl mit entzuendeten und aufgequollenen Beinen. Ueberall drumrum verwesendes Lebendes.
Mann, hoffentlich hat der Taxler sich bald aufgeschlaut...
Es geht weiter. Die Treppe selbst ist nicht so ganz um die Ecke und auch hier lungern Leute rum, die wirklich nicht als Touristen durchgehen. Aber der Kuenstler selbst ist da und scheucht die Leute von seiner Treppe.
Taxi wartet, Jess und ich steigen aus. Silvia kommt mit der Toni nach einigen Momenten nach.
Ich erkenne viele Kacheln mit eurpoaeischen Motiven. Paris, Amsterdam, Marseille, Berlin.
Der Maestro selbst laedt uns ein, mit ihm seine Treppe zu erkunden.
Wir machen aber nur ein paar Bilder um Sanela und das Taxi nicht zu lange im Auto warten zu lassen.
Naechster Halt: Corcovado, Talstation. Hier faehrt eine Bergbahn hoch zur Christusstatue die seit 2007 eine der sieben neuen Weltwunder ist. Auch hier macht uns die Masse der Menschen einen Strich durch die Rechnung. Alle Zuege die naechsten 2 Stunden sind restlos ausverkauft, wir koennen nur mit einem - richtig, Taxi - dann mit einem Minivan ganz hoch.
Kraeftig ueberfuettert streichen wir aber die segeln und fahren heim. Heben uns den Guten fuer morgen auf.
Silvia und Jessy zieht es am Abend wieder auf die Copacabana - die Kaufmaenner lassen es ruhig angehen und wollen Sylvester nachfeiern. Also mach ich mich in der Daemmerung auf die Socken um noch ein bisschen zu Essen und zu Trinken einzukaufen.
Auf einmal ein deutliches Signal aus dem Fenster: "Marc komm hoch, da sind zwei Typen hinter Dir her! Ohne mich umzudrehen geh ich ueber die Strasse und passiere den stabilen Metallzaun, der das Haus sichert. Oben sagt mir Sanela, das mich zwei Halbstarke mehrmals auf Fahrraedern umkreist haben und meine Fotosession studiert haben. Dann sind sie in meinem Ruecken an mich herangetreten...
Ich schau aus dem Fenster und seh die Beiden. Interessiert haben sie sich auf eine Parkbank gesetzt und schauen nach oben. Unsere Blicke treffen sich. Ohne mit der Miene zu zucken, zieht der eine Tabak aus der Hose und faengt an, eine etwas grosse Zigarette zu bauen....
Tssss. Ob die nach Feuer fragen wollten?
Auf zur Barra! An der Strandstrasse fahren wir nocheinmal die beruehmten Straende Richtung stadtauswaerts ab: Copacabana, Ipanema, Leblon, durch mehrere Tunnels und vorbei an Lateinamerikas groesstem Slum. Die Strecke ist Silvia jeden Tag zwei jahre lange mit dem Bus aus der Barra wo sie gewohnt hat an die Copacabana gefahren.
Wir sehen einen roten Helikopter der nah am Strand ueber dem Wasser wie festgenagelt in der Luft steht. Wird da jemand aus der Brandung gezogen?
Dann kommt die phänomenale Skyline der Barra in den Blick. Weit ausgestellte, frei stehenden Skyscraper kratzen am Himmel, davor der Strand, dahinter eine Lagune. Erinnert mich sofort an Miami Beach. Mit viel schoenerem Strand und weit maechtigerer Brandung.
Wir gehen Freunde von Silvia besuchen, die innerhalb einer dieser Wolkenkratzer ein grosses Appartement haben. Sofort beim Reinkommen, haben wir das erste Bier in der Hand. Gekuehlte Glaeser, klar. Man sieht mich an, mustert mich kurz, dann greift man an den 0,3l Buechsen vorbei und drueckt mir eine 0,5l Buechse Bier in die Hand. Ich muss Jessy mit seiner 0,3l Buechse belaecheln. Mann, diese brasilianische Gastfreundschaft taugt mir einfach!
Seht selbst.
Es geht runter an den Strand. Dort spult Silvia das volle Programm ab und laesst uns ein um die andere Spezialitaet der Strandverkauefer probieren. Die laufen hier sogar mit kleinen Holzofengrills durch die Gegend, auf denen sie Grillkaese zubereiten... Irre.
Ein paar Scampis am Spies? Her damit!
Dann geht es in die Brandung. Die anderen am Strand muessen sich denken: "Wow, schwimmen mit Whitey" bin ich doch das einzige Kaesbrot hier am Strand...
Stimmt nicht ganz: Toni in ihrem Sonnencreme-Lack sieht aus wie eine absolut weisse Kalkleiste.
Eine Kalkleiste, die den Schlaf der Erschoepfung unter einem Sonnenschirm schlaeft.
Recht hat sie.
Ich spiel noch ein wenig Korken in der Brandung, dann geht es auch schon wieder zurueck in Richtung Innenstadt. Wow, hier kann man auch noch ein paar Stunden laenger bleiben.
Das denken sich auch Silvia und Jessy, die den Christus ja schon kennen, und bleiben in der Barra. Wir verarbreden uns um 20.00h zu Hause und dann geht es auch schon los, per Taxi zum Corcovado.
Am Corcovado selbst ist wieder Schlange stehen angesagt. Dank der Toni muessen wir nicht anstehen, sondern koennen, kurz bevor unser Zug einfaehrt, vor allen anderen in den Einstiegsbereich. Dann gehts hoch, durch ne Favela, in den Regenwald und wieder raus - mit fantastischem View - und vollgeschissener Windel. Unterhalb des Christus wird dann erstmal ne frische Windel angelegt. Keine Wickelmoeglichkeit weit und breit. Also muss eine Bank direkt unterhalb des Sockels herhalten. Die letzten Stufen, dann sind wir oben.
Ein Gedraenge wie auf der Wiesn. Ueberall Leute
Wie Schade, denn der View ist fantastisch; die Sonne geht unter und scheint dem Herrn aus Speckstein phänomenal in den Rücken; Helikopter schiessen aus der Stadt nach oben, kreisen um die Statue - und fallen wieder ab. Und dabei sind jetzt
Wir haben bald genug. Auch, weil wir nicht komplett im Dunkeln wieder unter ankommen wollen.
Leider laesst die Bahn auf sich warten. Zeit fuer Toni uns wieder die Tuer zu oeffnen: muessen wir doch zunaechst wieder in der Schlange warten, bevor uns einer der Angestellten wieder vor auf die Plattform laesst. Auf der Plattform stehen wir zunaechst ganz hinten bis Antonia mit einem brasilianischen Baby Freundschaft schliesst und die beiden - total suess - auf der Plattform spielen. Wir lernen eine niederlaendische Reiseleiterin kennen, die uns im Zug beste Plaetze reserviert und uns unten den besten Weg nach Hause erklaert.
Unten angekommen - im Dunkeln - geht die Jagd auf die Taxis los und wir merken schmerzlich, das Silvia fehlt. Nach einigen Fehlversuchen springen wir doch in ein Taxi und los gehts nach Humaita. Der Taxifahrer schlaegt zunaechst genau die entgegengesetzte Richtung ein. Durch Winken in die Richtung, die uns die Reiseleiterin gezeigt hat und energisches Wiederholen unserer Adresse, dreht er schliesslich und setzt uns um 20.30h auch genau da ab, wo wir wohnen.
"Wo wir wohnen" ist schoen gesagt, denn die Wohnung ist dunkel und der Wachmann laesst uns nicht rein. Wir nennen die Nummer des Appartements - und er sagt nur "Renata". Richtig, Renata hat Silvia ihre Wohnung ueberlassen, damit wir darin Silvester feiern, Bloedmann.
Aber erklaer das mal dem Burschen. Bevor wir in Konversation mit Haenden und Fuessen einsteigen, kommen andere Bewohner des Gebauedes nach Hause und übersetzen. Die koennen doch tatsaechlich Englisch und so muessen wir nicht in stockfinsterer Nacht vor dem Haus warten sondern koennen die Eingangshalle beziehen.
Mit ordentlich Verspätung kommen Silvia und Jessy angehetzt und nach Beruhigungsbier fuer alle ziehen wir in unsere letzte Nacht in Rio. Es geht nach Lapa, DEM Viertel in dem das Nachtleben Rios pulsiert.
Wow, mir bleibt die Spucke weg: Kneipe and Bar, Clubs, Discos, Lounges, überall Sambabeats, lange Schlangen vor den Clubs und Menschen, Menschen, Menschen. Das Ganze gleicht eher einem Strassenfest. Silvia hat von ihren Freunden aus Rio einen Club empfohlen bekommen und den steuert sie jetzt zielsicher an und zwar vorbei an der 20m langen Schlange, direkt zum Tuersteher. Und der gewaehrt uns sogar direkt Eintritt, wenn wir den doppelten Eintritt bezahlen. 50R$ fuer die Dame, 80R$ fuer den Herrn.
Wir passen, wollen die Kohle lieber in Caipirinha anlegen. Doch wo? Alles ist brechend voll.
Mit Glueck schaffen wir es an einen gerade frei werdenden Tisch, bestellen - und warten.
Nachdem Jessy den Barkeeper kennenlernt, geht alles besser. Die Caipis kommen, die Schopis auch und als wir zahlen, entpuppt sich der Barkeeper als Besitzer mit Stuttgarter Wurzeln.
Cool.
Noch cooler - er laedt uns in seinen Club obendrueber ein. Wir steigen die Treppen hoch. Livemusik einer Band die ziemlich geil lokales spielt und internationales covert. Wir schwingen mit, steigen noch eine Treppe nach oben und stehen ploetzlich unter dem freien Himmel Rios.
Wahnsinn. Ein Blick nach unten durch die Treppen zeigt die Band und die tanzende Meute, ein Blick nach oben das Funkeln der Sterne. Ein saugeiler Abschluss fuer die Tage in Rio.
Am naechsten Tag geht es zurueck in den Regenwald zu Guenther und Neja. Von schwuelheissen 36 Grad in angenehme aber feuchte 26. Hier wird wieder ein Gang runtergeschaltet und wieder schwer geschlemmt. Zum Schluss unserer Reise geht es nochmal mit der ganzen Bande in zwei Mietautos durch die phaenomenale Bergwelt von Nuovo Friburgo an den Strand von Rio das Oistres.
Auch schoen am Tag drauf der Besuch im Jardim do Nego - im "Garten des Negers"
Hier werkelt ein kauziger aber total netter Farbiger mit grauen krausen Haaren und drittem Auge auf der Stirn seit 30 Jahren an einem steil ansteigenden Stück Regenwald.
Er arbeitet aus dem Lehm des Bodens wirklich beeindruckende Figuren heraus, in die er die auf dem Grundstueck vorhandenen Topologie mit Felsen, Bauemen etc. perfekt einfliessen laesst. Die so modellierten Figuren laesst er dann ueber Jahre mit Moos ueberwuchern, so dass eine sagenhaft gruene Farbe die Figuren ueberzieht.
Es kommt wie es kommen muss: wir verlassen den Laden als Letzte - mit weiten, gefuellten Maegen, na klar und - am naechsten Tag - das Land mit Wehmut.
Schoen wars.
22h Reisezeit später, einem Koffer auf Irrwegen zwischen Rio, Lissabon und München und 40(!) Grad kälter sind wir zurueck mit Tief Daisy in Muenchen.
Uffa. Auch Toni ist perplex: Von Badelatschen in Strumpfhose, dicke Socken und Winterstiefel und: was ist das fuer weisses Zeug ueberall da draussen, in das ich knietief versinke?