Sonntag, April 28, 2013

Goa? Goa! Abgezogen in Delhi und Shanti Shanti in Hampi


Goa ist nicht gleich Goa. Und Goa ist überhaupt nicht dem Goa, wie ich es mir vorgestellt hab. Tiefe, dröhnende Bässe, verpillte Leute, Parties bis in den Morgen.
Nein, abgesehen davon, dass ich es darauf auch nicht abgesehen habe, so ist Goa auch nicht. 
Die Zeiten, an denen die Bässe der Strandparties bis in den Morgengrauen schallten, sind vorbei. Spätestens um 23:00h ist die laute Musik rum. Dafür gibt es sogenannte Silent Discos, hier kommt die Dröhnung aus ausgeteilten Kopfhörern. Drei Musikrichtungen zur Wahl.
Das sagt die Süddeutsche

So ist das jetzt in Goa. Ganz Goa? Nein! Nur in Anjuna - so erzählt mir Peter - wirkt der Zaubertrank des korrupten Geldes noch stärker in der Lokalverwaltung als die Verordnungen der Landesverwaltung.
Peter, ein hagerer, ausladend und abrupt mit Armen und Kopf gestikulierender, sehr netter Brite ist selbst Partyveranstalter (Leopard Valley) und auf dem Weg in den indischen Norden, wo er ein ganzes Tal für eine fünf monatige Partylocation einrichten will.
Solange, bis der Monsun vom Süden ablässt und die Touristen nach Goa zurückkommen.
Ich treffe ihn -  dessen Gestik selbst auf intensive Drogenerfahrungen schliessen lassen könnte -  in Agonda Beach, wo wir durch Zufall zusammen frühstücken 

Peter, genau wie tags zuvor Christina empfehlen mir The Nest als Quartier in Palolem Beach, laut Reiseführer *dem* Sinnbild Traumstrand in Goa.
Gesagt, getan und so klopfe ich mittags bereits an die Tür von Morhan, dem Betreiber des Nests, Grüße brav von Peter und schwups hab ich eine der zwei Hütten direkt am Strand - für 700Rp am Tag, also weniger als zehn Euronen. So kann man auch wie Christina als Hartz IV Empfängerin Urlaub an nem Traumstrand machen.

Ich lauf den Strand entlang. Sichelförmig zulaufend, superfeiner, weisser Sand, eingefasst von Felsen und von einem Fluss. Ja, der Reiseführer hat recht. Traumhaft schön. Könnte so auch in der Karibik stehen.

Der Strand hier ist auf mehr Touristen ausgelegt. Viel mehr und viel enger stehende Hütten als in Agonda, teils sind die Bretterbuden sogar übereinander gebaut. Alle nett gestrichen, alle recht klapprig. Einige stehen auf Stelzen über den Felsen. 
Strandbar an Strandbar an Restaurant, jeweils dahinter haben alle mehr oder minder gleich eingerichtete Hütten. 

Ein paar Strandliegen, auf denen mich nackte, schwedische Brüste anblitzen.
Äh - hä?
Für die prüden Inder muss das wie purer Porno oder alternativ wie ein Schlag ins Gesicht sein, schicken sie doch ihre Frauen nach wie vor ausschliesslich in Saris ins Meer…

Ich treffe Ken, einen Mitvierziger, der unverschämt braungebrannt und unverschämt lässig in der Hängematte vor seiner Bretterbude hängt und auf seinem Airbook im Internet surft.
Er ist schon seit vier Monaten hier - und bleibt noch bis in die erste Maiwoche, bis sie hier alles platt machen.


Es ist nämlich keinerlei ganzjährige Bebauung am Strand zugelassen. Das heisst, die netten, kleinen Bretterbuden haben eine Halbwertszeit von weniger als acht Monaten. Vor dem Monsun muss alles weg - und nach dem Monsun wird alles wieder aufgebaut.
Alles. All die Hütten, Restaurants, Strandpubs. Die ganze Infrastruktur, die sanitären Einrichtungen, die fahrlässigen Elektroinstallationen.
Eine davon findet sich in meinem "Bad". Direkt unter dem Duschkopf haben sie offen die Kabel für den Wasserboiler und den Lichtschalter verlegt. Aber alles funktioniert. Ohne das jemand umkommt.
Erinnert mich an die indischen Softwarelieferungen für die o2 ;-)

Weiter geht es denn Strand entlang. Meine Hautfarbe - ganz im Gegenteil zu Ken's und den Schwedenbrüsten - zeichnet mich als Newcomer aus und so hab ich entweder eine Inderin an mir hängen, deren Shop ich unbedingt besuchen muss, oder ich hab einen Fischer der mir - in absteigender Reihenfolge - eine Delfinausfahrt, eine Fischausfahrt oder Marihuana aufschwatzen will…

Naja, nicht ganz mein Karma, der Strand hier.
Aber ich lass das Ganze auf mich wirken.

Morgens erfind ich den Palolem Triathlon: ich jogge barfuss 3mal den Strand entlang, dann schwimm ich ihn einmal ab und verdinge mich den Rest des Tages in Whale Watching (es gibt noch ein paar dickbäuchige, cross angebratene Russen und Besatzer-Briten hier) und Power Reading. Natürlich schaue ich auch nach der Hautfarbe der Schwedenbrüste…

Hier hat jedes Restaurant fünf bis sechs domestizierte Strassenhunde, die jeweils einen Strandabschnitt als ihr Revier ansehen und ihn recht rabiat verteidigen. Die Köter liegen - ähnlich wie die Touristen - eigentlich die meiste Zeit faul im Sand. Wehe aber ein fremder Hund kreuzt den Abschnitt:
Der Alpha des Rudels spannt den Eindringling als erstes. Der Rudelführer des Nests kann zwar kaum noch laufen. Muss er aber auch nicht, das machen seine Jungs. Er bellt, heult und kläfft und schon schiesst es aus allen Ecken auf den Eindringling. Wie sie da aus allen Richtungen angeschossen kommen und sich auf den armen Hund am falschen Strandabschnitt stürzen ist recht furchteinflössend. Auch das Herrchen des Hundes ist be-"stürzt"… WTF?

Mehr als der einprägsame Auftritt und Gekläffe kommt dann aber nicht dabei raus… Was ja auch in Ordnung ist. Hundegeschnetzeltes am Traumstrand muss dann auch nicht sein.

Mir fällt auf, das viele Inder nicht wirklich schwimmen können. Kaum einer ist brusttief im Wasser. Viele stehen in der Brandung wie Leergut. Einige probieren zu kraulen und zwar mit Kopf, Füssen und Armen gleichzeitig aus dem Wasser. Da läuft das Alphatier des Nests graziöser durch den Sand…

Ich schwimme hinter der Brandung im Meer und ziehe an einem Zweierkajak vorbei. Ein junges indisches Pärchen übt sich am Paddeln. Vollkommen ausser Takt versuchen sie ihr Kajak zu steuern. Sie patscht mit ihrem Paddel wie mit einem Kochlöffel im Wasser rum. Er giftet von hinten ohne es wesentlich besser zu machen. Manövrieren ist nicht wirklich und so zieht es sie langsam aber sicher wieder in die Brandung. Man müsste nur ein, zwei synchrone Züge hinkriegen und schon wäre man aus der Gefahrenzone. 

Die zwei arbeiten lieber an ihrer Kommunikation. 

Indien ist in vielerlei Hinsicht anders als Europa. Das uns bekannte Kopfnicken ("Ja"-Geste), ist hier eher ein Kopfwackeln, wo sich der Kopf seitlich links und rechts vom Ohr Richtung Schulter neigt und bedeutet mal Ja, mal Nein. Eigentlich bedeutet es: ich habe Dich zur Kenntnis genommen - so ist zumindest meine Interpretation. Die starke rechte und die schmutzige linke Hand - allgegenwärtig im Alltag. Beim Trinken aus Plastikflaschen berührt die Lippe oftmals nicht die Flasche sondern das Wasser wird mit einigem Abstand in den Mund "gegossen". Oder das freudige Erstaunen: was bei uns mit einem "Heyyy", und einem Grinsen quittiert wird, erzeugt hier oft ein Schnalzen mit der Zunge - und das schon benannte Kopfwackeln.

Ohhh, da gibt es noch viel mehr interessantes Unterschiedliches zu berichten. Dazu vielleicht später noch mehr.
Was allerdings bei dem Päarchen auf dem Kajak abläuft, könnte 1:1 genauso auch in Deutschland laufen:
Er meckert, sie meutert - und beide zieht es ganz langsam und unbemerkt zurück in die Brandung...

Das nächste was ich sehe, ist die Unterseite eines gelben Kajaks, das durch die brechende Welle mit der Spitze nach oben aus dem Wasser hinauskatapultiert wird. Flankiert von zwei Paddeln. Als die Welle ausrollt, tauchen beide bedröppelt aus den Fluten…  ;-) Nix für ungut. In Deutschland gäbe es jetzt noch eine Weile schlechte Stimmung, ich denke hier ist das nicht anders...

An der Strandbar lerne ich Koos und seine Freundin kennen und wir gehen zusammen Abend essen. Es gibt Fisch und jede Menge Weltenbummlergeschichten.
Unter anderem die, wie sie in Delhi abgezogen worden sind: 
Aus Australien mit dem Nachtflieger in Delhi ankommend, steigen sie mitten in der Nacht in ein falsches Taxi ein.
Das Taxi soll sie nach Delhi zu ihrem gebuchten Hotel bringen. An einem "Road closed" Schild ist die Fahrt zu Ende. Der Taxifahrer kann nicht weiter. Dreht um und fährt sie zu einer Touristeninformation, um sich nach dem richtigen Weg zu erkundigen.
Die Touriinfo ist in einem Elendsviertel. Jede Menge zwielichtige Gestalten, Bettler, Penner, Kriminelle, Rauschgiftsüchtige. Die Touristeninfo erklärt die Strassen nach Delhi sind aufgrund eines Festivals geschlossen.
Die Typen hinter dem Counter sind bei der nun folgenden Hotelabtelefoniererei sehr hilfsbereit. Jede Hotelnummer die Koos und seine Freundin raussuchen wird vom Personal angewählt, dann geht der Hörer zurück zu dem holländischen Päarchen.
Nichts zu machen. Alle Hotels sind ausgebucht oder auf der Strasse nicht mehr zu erreichen.
Die einzigsten verbliebenen Alternativen sind eine Übernachtung für teures Geld direkt hier im Elendsviertel, eine Fahrt nach Kaschmir für 350€ oder eine Fahrt in Richtung Agrar für 250€.
Die Zwei wollen sowieso zum Taj Mahal und so wird in den sauren Apfel gebissen und sich auf in Richtung Agrar gemacht.
In der Morgendämmerung dämmerts dann auch im Taxi. Der übereifrige Taxifahrer am Flughafen, das komische "Road closed" Schild, so garnicht auf der Hauptverkehrsstrasse, ne Touriinfo, die mitten in der Nacht noch auf hat; und keine einzige Nummer selbst gewählt…

Herzlich willkommen in Indien!
250€ ärmer; dafür um eine Geschichte reicher ;-) - und noch am Leben!
Die zwei sind wohl nicht die einzigsten, die abgezogen worden sind. Ihre Masche und noch ein paar andere hab ich hier gefunden...

Für mich geht es weiter - diesmal mit dem Zug. 8h Richtung Landesinnere.
Ich bekomme von ner Bude am Strand ein Ticket ausgestellt mit detaillierten Informationen zu Zug, Abteil und Sitzplatz und so stehe ich morgens um 7h30 pünktlich zur Abfahrt bereit an der Plattform in Margao. Hier lass ich mich ziemlich derbe von einem alten Mann mit gesprengter Hüfte und einer leprösen(?) alten Frau anbetteln, die mir ihren Stumpf mit den verfaulten Finger unter die Nase hält. Eiiii Karamba!

Der Zug fährt ein und ich lande erst mal im falschen Abteil - wie hättet eigentlich ihr den Wisch hier interpretiert?

Ich brauch einen zweiten Anlauf den Bahnsteig lang, bevor ich im richtigen Abteil in einer Schlafkoje lieg und mich zunächst durch Regenwald, dann dürch Ödnis rütteln lasse.
Ich rationiere meine Packung Kekse vom Bahnhofskiosk völlig umsonst, ist der Zug doch bestens organisiert. Was hier alles durch die Gänge getragen wird, ist unglaublich! Kästenweise Getränke, riesige Thermoskannen mit Caj, Brot, Chips … alles da!
Schliesslich streckt auch ein Inder seine Nase durch meinen Vorhang und fragt, was ich zum Mittagessen haben will. Von dem runtergemurmelten Menu versteh ich nur Veg Byrianji und so lass ich mir nach einem schönen Nickerchen pünktlich um 12:00h das vegetarische Reisgericht schmecken. Kurz denk ich über die Stechapfel Horrorstories und Warnungen aus Deutschland nach, ja nichts auf Reisen von Fremden anzunehmen… 
… Dann lass ich es mir schmecken. Wird schon gutgehen.
Und das tuts auch.

Kurz vor Hampi macht mich ein junger Kerl drauf aufmerksam, dass wir gleich da sind. Und fragt nebenbei ob ich ein Taxi brauche. Jetzt sind die Burschen schon im Zug am Tourischleppen! Irre!
Als ich bei "Kay", was soviel wie Kokosnuss bedeutet, und seinem Kumpel "Dollar" in der Rikscha hänge, lerne ich ihre Masche:
Ein paar Kilometer vor Hampi wird der Zug zur langsamen Fahrt gezwungen. Das ist der Moment wo Kay die Füsse in die Hand nimmt und auf den fahrenden Zug aufspringt.
Dollar rennt nie, denn er hat eine Familie zu versorgen - das Ganze ist wohl nicht ungefährlich. Die riskieren hier für 2€ - soviel kosten die 14km nach Hampi - tagtäglich ihr Leben!

Hampi - seit 1986 Weltkulturerbe - entpuppt sich als Dörfchen in Ruinen. Einmal antike - und ganz aktuelle Ruinen.
Das Dörfchen liegt nämlich mindestens zu zwei Dritteln in Schutt und Asche. Es gibt vielleicht 30-40 zweigeschössige, eng stehende, noch intakte Häuschen. Der Rest: eingerissener Bauschutt. Zwischen Betonbrocken seh ich Namen von Guesthouses am Boden liegen. Was...?

Später soll ich erfahren warum. Der Reiseführer spricht von Auflagen der Unesco. Inoffiziell sind allzu leicht bekleidete Touristinnen und stilloses Verhalten Derselben während einem heiligen Fest an dem auch hohe indische Regierungsmitglieder vor 3 Monaten anwesend waren der Anlass für den rigorosen Abriss. Das Mass war wohl voll...

Ich ziele auf eine ruhigere Umgebung nach dem doch bis 23:00h recht lauten Goarummel und setze mit einem kleinen 12 Personen Boot auf die Nordseite des Flusses über. In der Nussschale treffe ich Erich aus Darmstadt und Laura aus Südtirol die mir ein traumhaft ruhig gelegenes Guesthouse mitten im Reisfeld empfehlen.
Das Sima Guest House liegt 3km entfernt und so spüre ich zum ersten Mal eine längere Strecke meinen "leichten" Rucksack.
"Wer fröhlich reisen will, muss mit leichtem Gepäck reisen", sagte ich bereits, oder?

Ich ergänze "Wer fröhlich reisen will, muss mit leichtem Gepäck und nicht mitten in der Mittagssonne reisen" ;-)

Schliesslich ist der Weg geschafft, Mardan - ein freundlicher, moslemischer Reis- und Marihuanafarmer - empfängt mich mit einer eiskalten Coca-Cola. Ich pflanze mich in eine Hängematte und komme erst mal an.
Wow. Die Farm ist wirklich idyllisch. ein kleiner Bach bewässert die paar Reisfelder. Fünf, sechs Hütten angelehnt an  hohe, erodierte Felsen die an Devils Marble's in Australien erinnern. Kokospalmen. Hängematten. Caj. 
Shanti, Shanti, sprich: super easy Atmosphäre, oder wie der Bayer sagt: "Ois easy!". Mardan nimmt mich für 300Rp, also für 4 Euro fünfzig in Vollpension. Alles inklusive. Breakfast, Lunch, Dinner, Getränke und sein Gras, das ich dankend ablehne (erinnert ihr Euch noch an #5?). 

Hier werde ich deutlich länger bleiben, als geplant. Der Reiz von Hampi wird auch mich erwischen. Und nicht nur dass, sondern auch ein Hitzschlag, ein Strassenfestival, Überfälle, Gewehre, Geschichten. 
Bleibt dran.
Shanti, Shanti.


Donnerstag, April 18, 2013

Vom Stadtverkehr zum Strandvergnügen

[Agonda Beach, 16. April 2013]

Ha! Jetzt geht es Schlag auf Schlag mit dem Postings. Hab hier in meiner Hütte am Strand von Goa nicht nur Zeit, nein, sogar auch verlässlich Internet(!), so dass wir direkt wieder abfahren können.

Nach Nasik, bzw. von Nasik nach Pune mit dem Bus. Die Überland-Bushaltestelle dazu sieht so aus -->:
Im Semi Sleeper Volvo AC Bus (zu den verschiedenen Bustypen werd ich mich noch auslassen!) geht es nach Süden nach Pune. Ich hab super platz und anscheinend auch den Mango Lassi gut vertragen. Perfekt.
Ich vertreib mir die Zeit mit Lektüre. "Das Gehirn eines Buddha" - aus meiner Sicht ein Must Read! Neben ganz konkreten Hinweisen und Anleitungen zu mehr Glück im Alltag, beleuchtet es sehr anschaulich, was eigentlich in unserem Gehirn die ganze Zeit abgeht. Ein Superbuch - auch für nicht Meditationsmuckel!
Die sechs Stunden vergehen wie im Flug und schon find ich mich in Pune wieder.

In der Stadt von Techmahindra, einem der zentralen Outsourcingpartner der o2. Ich fühl mich an die Zeiten zurückerinnert wo wir in endlosen Calls aus München heraus versucht haben, Qualität in Softwarelieferungen zu bekommen. Calls, die bis in die Nacht gingen, Calls wo namentlich angesprochene Teilnehmer auf einmal nicht mehr da waren, da sie zwischendrin einfach so Mittag gemacht haben und Calls, die wegen Unruhen, Feiertagen oder getrennten Unterwasserkabeln gar nicht erst zustande gekommen sind...

Der Bus spuckt mich direkt in eine Meute braun gekleideter Rikschafahrer, die sich im Pulk um den nach ordentlich Gewinn aussehenden langen Lulatsch kümmern.
"Come, come!", "Where u wanna go?", "Come, come!". Ein Pulk recht unangenehmer, irgendwie gleich aussehender kleiner Männer mit flaumigen Ziegenbärten umkreist mich enger und enger. Jetzt werd ich also wieder abgezogen denk ich mir als ich von hinten angesprochen werde: "Do you want to share a Taxi?"
Eine attraktive, kecke Inderin spricht mich an! Klar will ich!
Jetzt werden die Taxerl zickig und die junge, stolze Frau muss sich einiges anhören. Ich versteh zwar kein Hindi, aber Gesten, Körpersprache und Lautstärke kann ich dennoch interpretieren. Mein lieber Mann, es wird ganz schön hitzig. So hitzig, dass sich irgendwann ein Taxifahrer zwischen die junge Frau und den Taxerl, der mich als erstes angesprochen hat, stellen muss. Dann schnappt mich Vinutha - so heisst die in Person gewordene Rettung vor dem hellichten Westler-Taxiabzug - und zieht mich raus aus dem Pulk. 

Und schwupps sitzen wir und unsere beiden Gepäckstücke in einer Autoriksha Richtung irgendwohin und kommen ins Quatschen. Vinutha ist Yogalehrerin, Mutter zweier Kinder und eine selbstbewusste, stolze Vertreterin des neuen Indiens. So empfinde ich das. Ihr Mann ist Gruppenleiter bei einer IT Firma und arbeitet mit der deutschen Bank zusammen. Und ich bin... baff!
Ruckzuck sitz ich vor dem Park Estique Hotel in Pune - und das auch noch ohne das Taxi bezahlen zu können. Ich bin selbstverständlich eingeladen! Keine Diskussion.   

Das Hotelschnäppchen entpuppt sich als stylisches Luxushotel mit Rooftop Bar, Gym und Badezimmer mit freier Sicht auf die Skyline von Pune. Wow!
Ich mach mich auf, die Strasse runter den Agha Khan Palace zu besuchen. Jetzt das Mahatma Gandhi Museum, da Gandhi hier in den 1940ern von den Briten zwei Jahre unter Hausarrest gestellt wurde.

Nach dem irren Verkehr der 6-8 spurig an dem Palast vorbeirauscht, eine Idylle der Ruhe.
Das Museum ist ein Witz - genau wie der Eintrittspreis: 5 Rp - für Inder. Alle anderen zahlen 100Rp! So geht es recht schnell wieder raus und am Verkehr entlang zurück Richtung Hotel... nicht ohne noch ein paar Eindrücke vom Wegesrand mitzunehmen:



Die meinem Hotel gegenüberliegende Shopping Mall, empfängt mich dann so:

Wahnsinn. Die sterile Bilderbuchmall ist genau so, wie überall auf der Welt auch. Alle westlichen Marken, Subway, MacDonalds, ein integrierter Supermarkt wie in München um die Ecke. Oben ein Videoautomatenspiel, eine Bowlingbahn, Billard und: eine auf -4 Grad temperierte Eislaufbahn und x.000qm Snowboardpark(!)

Incredible India!

Osho


Am nächsten Morgen Stippvisite bei Osho - ich will mir seinen Ashram anschauen.
Die Europäerin(!) am Counter eines kühlen, mit Metalldetektoren ausgestattetem Eingangsbereich mustert mich und schickt mich salopp weiter. Da hinten kann ich die obligatorische rote Robe und für die Abendveranstaltung die weisse Robe kaufen. Hier wird die Eintrittsgebühr fällig und da vorne soll ich einen Aidstest machen...
Moment mal: ich wollte mir den Ashram des Mannes anschauen, dessen Bücher ich gelesen habe. A N S C H A U E N. Ich wollte nicht gleich Jünger werden!
Und wild rumvögeln auch nicht.
Und Foto machen is auch nicht.
Dann ist meine Zeit im Hoschie Ashram eben recht begrenzt und ich verpfeif mich... Pfff!


Sadhu Vaswani


Trip Advisor Bewertungen empfehlen einen Besuch, #2 Must See in Pune. Hier empfängt mich ein mässig interessantes aber aufwendig gestaltetes "Museum" dass gepflegten Personenkult des 1966 gestorbenen Gelehrten und "Heiligen" darstellt.
Die Museumsgestalter tragen mächtig auf: Schauspieler stellen schmerzhaft theatralisch Szenen nach. Hologramme geben Fragen und Antworten, Innenarchitekten stellen wichtige Räume aus...

Hängen bleiben bei mir nur drei Sachen: Sadhu bedient sich an Standardreligionen (zitiert Jesus), findet dass Goethe ein Brahmane ist und empfiehlt Ehefrauen bei Ehestreits einen grossen Schluck aus der stets mitzuführenden Wasserflasche zu nehmen :-)) "Du wirst sehen, alles geht vorbei" ;-)

Ich schau mir den Peshwe Energy Park an (der geschlossen hat) und lauf durch die Innenstadt Richtung Hotel. Auf einem zurückgezogenen Grünstreifen seh ich einen Haufen junger Päarchen, schön in Zweiergruppen versetzt auf den, das Grün umschliessende Bänkchen.
Süß, sieht ein indischer Anbandelpark. ;-)


Die Innenstadt ist kurz vor dem Verkehrsinfarkt, relativ kleine Strassen, links und rechts kaum dreigeschössige Häuser. Manche mit Holzfassade.  Manche mit, manche ohne Fenster. Säuberlich aufgereiht davor stehen die Motodrinos, die Vespas, die Mopeds. Die Stadt pulsiert (und hupt) so vor sich hin. Ich krieg schnell zu viel von der ganzen Hektik - und vor allem von der Luft. Hab das Gefühl nur Abgas in der heissen Nachmittagssonne zu atmen. Puh. Pune. 

Es ist also Zeit für Strand. Einsamen Strand. Palmen. Kokosnüsse. Lassis.
Das heisst in Indien: Goa

Im Hotelzimmer steck ich den möglichen einstündigen Flug für 180€ zugunsten dem 9 mal günstigereren und 13 mal längeren Sleeper Bus zurück. Den Bus - oder wie ihn Traveller im Internet beschreiben - der Hühnerkäfig auf Rädern gibts für ungefähr 20€.
Einen weissen, Münchner Wal im Hühnerkäfig. Das wird lustig werden.


Am nächsten Morgen Auschecken an der stylischen Rezeption (im Hintergrund dudelt - äh - tatsächlich Shantel!). Dann holt mich Vinutha und ihr Mann Nadhindra ab. 
Als ich ins Auto steige ist das schon voll. Mit anderen Ausländern!
Kate eine Krankenschwester aus UK und Fernando ein Diplomat aus Venezuela - alles Bekannte von Vinutha aus dem Yogalehrerkurs, den sie in Nasik belegt hat.
Fernando begrüßt mich mit "Alles klar?" - na, da fühlt man sich doch gleich willkommen :-)

Es gibt eine Stadtrundfahrt. Wir besichtigen das Fort, das Stadtmuseum (zu), und den Ganeshtempel. Es ist immer wieder erstaunlich, wie sich das Stadtbild verändert, sobald Du mit Locals unterwegs bist. Der Hammer.
Auch und im besonderen der Ganeshtempel. Hatte ich mich gestern noch wg. geröteten Augen, gereizten Atem- und überreitzten Verkehrswegen davor gedrückt, um schnell ins Hotel zurück zukommen, lass ich mich jetzt in den Tempel schieben. Es sind lange Schlangen, den es ist hinduistisches Neujahr.
Bild von Wikipedia
Der Securitycheck lässt Fernando's im Rucksack verstaute, frischgekaufte Schuhe auffliegen - die dürfen nicht rein. Schuhe sind Schuhe und die sind verboten!
Im Tempel ist eine recht ungemütliche Prozession von Gläubigen - inkl. uns - die sich an einer aufwendig geschmückten Ganesh Statue vorbeischieben. Der Tempel ist silberbeschlagen, die Figur mit blankem Gold besetzt; davor diamantene Blumen (von DEM Amitabh Bachchan gespendet wie man mir erklärt), es glitzert und blitzt. Irre: die Kostbarkeiten sind alle echt. Der blanke Wahnsinn.

Zwischen den Sehenswürdigkeiten werd ich überredet noch einen Tag zu bleiben. Ich könne problemlos bei ihnen übernachten, meint Vinutha. Die Gesellschaft ist prima, die Stimmung auch. Ich pfeif auf Nachtbus und Folgehotel, ich fühl mich sauwohl!
Und so geht es ausgelassen in ein Restaurant zum Abendessen. Vier Menüs zur Auswahl: 1 Veg-Menü, 1 Nonveg-Menü (also mit Fleisch), All-in mit unlimited Bier und All-in mit unlimited Alkohol (also Scotch, Whiskey, Vodka). 
Wir schlemmen; Fernando erzählt viel aus seinem sehr interessanten Diplomatenleben (u.a. London, Syrien, Washington, Japan, Guyana, Wien. Der Satz: in der Welt zu Hause trifft auf ihn wirklich zu); ich lass mir das Rechte-Hand-Essen kognitiv, koordinativ erklären und weiss auch was ich mit dem Limettenwasser zum Schluss mache. Perfekt.

Dann gehts nach Hause, wo uns die Grosseltern und die beiden Kinder empfangen.
Jetzt werden sieben Erwachsene und zwei Kinder auf zwei Betten aufgeteilt.
Wie selbstverständlich schlafen sowohl die Grosseltern, wie auch die Gastgeber auf dem Boden, damit die Ausländer und die Kinder auf Sofa und Bett verteilt werden können.
Wahnsinn. Mit soviel Gastfreundschaft kann Europa nicht dienen!!

Am nächsten Tag geht es auf den Markt. Ich komm aus dem Knipsen gar nicht mehr raus. Ein paar Eindrücke gibts hier:

Kurztest: wer entdeckt den schlafenden Verkäufer? Auf welchem Bild ;-)?

Ich staune über die Vielzahl der Waren, die Gerüche, die Farben... 
Grossartig. 

Ich kaufe Toni ein indisches Kostüm, ein indisches Dirndl sozusagen. Vinu stellt sicher, dass ich auch die richtigen Ketten, Armschmuck und Bindis dazu bekomme. Ich kann es kaum erwarten, Toni darin zu sehen. Ich hoffe nur, das das Kostüm die verbleibende Zeit und die verbleibenden Länder sicher übersteht...

Am Abend ist Abschied nehmen angesagt. Und obwohl es nur ein bisschen mehr als 24h waren, die wir zusammen verbracht haben, fällt der Abschied schwer. So liebenswürdige, gastfreundliche, warmherzige Menschen machen den Abschied wirklich nicht leicht.

Als er dann gegen 23:00 naht - ihr erinnert Euch: ich will in nem Sleeper Bus nach Goa runter - wird nochmal die ganze Familie inkl. Kinder zusammengepackt um mich an den Busbahnhof zu bringen. Ich denke hier soll sichergestellt werden, dass "the tall guy", wie sie mich nennen, auch im richtigen Bus sitzt, bzw. liegt und in Goa aufwacht und nicht in der Wüste Gobi ;-)

Es gelingt. Ich beziehe meine vorrausschauend gebuchten zwei(!) Liegeplätze. Ich kann mich zwar immer noch nicht ausstrecken, nicht mal schräg, aber wenn ich noch nen weiteren Fahrgast neben mir hätte wäre an Schlafen überhaupt nicht zu denken... Seht selbst -->:
Jetzt kann die Fahrt Richtung Süden, Richtung Goa, Richtung Paradiesstrand beginnen.

Ankommen tu ich in Panajim, der Hauptstadt von Goa. Einem für Pune Verhältnisse verschlafenem Nest mit relaxten Taxifahrern an der Busstation, die einem unaufgefordert Informationen zu den Sehenswürdigkeiten geben, an denen man vorbeikommt. Grün, entspannt, recht sauber, mit pittoresken, zweigeschossigen, bunten Fassadenbauten. Sehr mediterran. Man sieht, dass sich hier die Portugiesen ausgetobt haben.

Das Hotel fuer die Nacht ist weit ab vom Schuss. Zum (ausgestreckten) Schlafen taugt es aber tadellos! Um mir die 300Rp (4€ ungrad) für ein erneutes Taxi in die Stadt zu sparen, probier ich ein weiteres Gefährt aus: Den öffentlichen Bus.
Coole Karren sind das, ohne Fenster, enge Sitzbänke, bunt geschmückt, jeder mit anderen Farben, Innenleben und (natürlich) Personal. Auch die Hupe klingt bei allen anders - logisch. Der eine Bus hat eine hinduistische Gottheit als Talismann in der Scheibe kleben, der nächste eine Mariafigur auf dem Armaturenbrett. Nett.
Das Ganze läuft dann so: Du winkst einen vorbeifahrenden Bus zu, der wird langsamer, so dass Du bei langsamer Fahrt zusteigen, besser zuspringen kannst. Dann quetscht Du Dich auf eine Sitzbank und wartest, bis Dir der Schaffner den Wegzoll abknöpft. 20Rp (0,30€) - und das für den gleichen Weg, wie vorher mit dem Taxi. Wow.


Busfahren macht so Spass, dass ich mir gleich noch nen anderen Bus schnappe, der mich nach Old Goa bringt. Eine der ehemals reichsten Städte der Welt. Der von den Portugiesen als Umschlagplatz genutzte Hafen im späten 15. Jahrhundert wurde auch das Rom des Orients genannt und bietet prächtige Kirchen - sowie Busse voll Pilger - zur Ansicht. Heute Weltkulturerbe.
Für kunsthistorisch Interessierte sehr bedeutend. Für mich recht nett. Denn: ich fahr lieber Bus ;-) und zwar zurück nach Panajim, wo ich durch die Altstadt strolche, mir noch ne Kirche reinziehe und dann - richtig, ihr wisst's schon - wieder Bus fahre. Und zwar ins Hotel.

So, Kirchen hat ich jetzt genug, denk ich mir und setz mich am nächsten morgen in einen - genau - öffentlichen Bus, der mich nach Margao in den Süden bringt. Dort grille ich erstmal ne Dreiviertelstunde am örtlichen Busbahnhof, bevor ich mir ein Taxi nehme um nach Agonda Beach vorzustossen.

Das Taxi lohnt sich, denn Bus fährt hier keiner hin, wie auch. Das Dörfchen besteht vielleicht gerade mal aus 40 Bebauungsteilen. Nichtmal ein Strassenschild gibt's (aber ne Kirche).
Hier find ich mein Hüttchen. Direkt am menschenleeren, weitläufigen Strand. Unter Kokospalmen. Vielleicht drei Kilometer lang. Paradiesisch. 


Sogar mein Scheisshaus ist weitläufig - nach oben hin. Freiluftdusche und Toilette. Nur Palmenwedel trennen mich beim Kacken (Pardon! Gehobenere Umschreibungen gibt es hier ;-) vom Sternenhimmel...
Matratze statt Bett. Deckenventi statt AC. Vorhängeschloss statt Steckkarte. Der Brandungswind bläst durch die Ritzen der Bretterbude. Kaltes Wasser. Einfach aber einfach paradiesisch. 
Ein Traum.

Pause.

Schwimmen, Essen, Schlafen, Ka**en ;-). 

Zur Ruhe kommen. 

Ich freunde mich mit den Strassenkötern und den Locals an. Meditier am Strand. Geh mit nem Fischerboot raus und seh Delfine. Lass mich stundenlang in der Brandung treiben und schau in die Sonne oder in den Mond, der hier schon früh am Nachmittag aufgeht. Ich denk viel nach. Ich les ein Buch - und ich schreib nen Blog.

Schöne Grüße aus Agonda Beach.

Montag, April 15, 2013

Von Vipassana, Tränen in Nasik, Osho in Pune und sonstig Spirituellem

[Agonda Beach, 15. April 2013]


Ich nehme Indien als sehr spirituelles Land wahr, daher komm ich jetzt doch nicht umhin, ein wenig von der spirituellen Seite Indiens zu erzählen.
Keine Angst, es wird nicht esoterisch, ich sing Euch auch kein Mantra vor, mal Euch kein Mandala und fürs Nagelbrett bin ich mir auch zu fein. Es bleibt also ganz praktisch....

Vipassana

Vipassana ist mehr als eine Technik, denn als eine Religion anzusehen. 
So wie man sich westlich praktiziertes Yoga als eine Anleitung zu einem gestärkten, gesunden Körper vorstellt, so ähnlich kann man sich Vipassana als einen meditativen Weg zu einem gelasseneren und damit glücklicheren Leben vorstellen.

Vipassana reinigt und fokussiert den Geist, in dem einem beigebracht wird, den unruhigen Geist zu konzentrieren. 
Ihr kennt das vielleicht selbst, ständig springen Gedanken in eurer Birne rum. Vergangenes wird nochmal gewälzt, dann wieder Zukünftiges geplant, das letzte Meeting im Office analysiert, ah ich brauch noch Milch, der dähmliche Chef, die nette Brünette letzten Donnerstag in der 089 Bar (diese Lippen!), muss zum Friseur, eigentlich hätt ich gern ne neue Karre, wie wärs eigentlich dieses Jahr mit ner Hütte in den Bergen und ner großen Geburtstagsparty??, jetzt schau Dir diese unmögliche Hose an!!, das Telefonat hätt ich anders führen müssen, wenn der Typ jetzt nicht bald die zweite Kasse aufmacht raste ich aus!!, usw.usw.usw...
Vipassana konzentriert den Geist im Jetzt. Und sorgt damit für Ruhe in dem kontinuierlichen Geplapper der Gedanken.

Balsam für das immerzu gehetzte Gemüt. Eine Lasik-OP für den Brillenträger. Farbe für den Farbenblinden. Ein Glas Wasser für das dauerklingende Handy am Nachbartisch. Eine Aschewolke für den Vielflieger CEO. Wie auch immer.
Zumindest hab ich das Ende Januar so empfunden und daher kam im Laufe des Jahres der Plan auf, einen weiteren Vipassana Kurs zu machen, und zwar da, wo die Technik seinen Ursprung hat.

 Und jetzt bin ich also hier, In Dhamma Giri, in dem grössten Vipassanazentrum der Welt, einer Pagode mit 357 Zellen, acht Meditationshallen, einem Forschungszentrum, immerzu zwei parallelen Zehntageskursen, Langzeitkursen (bis zu 60 Tage) und eben auch einem dreitägigen Kurs nur für Executives. 


So werde ich als "Old Student" also erneut Mönch, steh um 04:00 auf, ess um 11:30 (#6) das letzte Mal (fleischlos), gelobe die acht Regeln des Code of Disciplines einzuhalten, also die Schlange in der Hose zu lassen (#3), bewahre edle Stille (#4) und geh um 21:00 ins Bett. Zwischendrin kein Lesen, kein Schreiben, kein Sprechen, keine Gesten, kein Telefonieren und kein Bloggen, keinem Alkohol (#5), keinem Rock hinterherschauen (#7 - Männlein und Weiblein sind streng getrennt und wenn, dann sieht man eh nur Saris), sondern M E D I T A T I O N. 

Die Reise nach innen kann beginnen. Insgesamt zehn Stunden am Tag. 

Drei davon Adhitthana, d.h. "mit grosser Entschlossenheit", also bewegungslos. Was mir im Januar noch gellende Schmerzerfahrungen mit netten, grellen Farben beschert hat, geht durch die tägliche Praxis seitdem immer besser. Ja, ich darf feststellen, dass unerwarteterweise die indischen Mitstudierenden so ihre Gelenkprobleme haben, eiern wir doch nach den Sitzungen gemeinsam aus der Dhammahalle... ;-)

Die Einrichtung ist spartanisch (#8) - aber komfortabler als in Dhamma Dhvara, Deutschland. Ursprünglich enttäuscht, dass ich keine Zelle in der Pagode bekommen habe, bin ich nach Besichtigung einer solchen Zelle (s. rechts) recht froh über mein Einzelzimmer mit Nasszelle.

Das Essen - rein vegetarisch. Gegessen wird wie in ganz Indien nicht von Tellern sondern von Metalltabletts, die wir zum Servieren nutzen würden, darauf werden Metallschälchen - ähnlich zu den Tassen von Thermoskannen gestellt, die man sich mit Portionen füllt.
Dazu gibts Reis. Die Schälchen auf den Reis auf das Tablet giessen, vermischen, essen. Dazu gibts Nam - Fladenbrot.
Essen mit der rechten Hand! Die Linke gilt als unrein -  hier auf den Toiletten gibts kein Klopapier, es sei denn Du bringst welches aus München mit ;-).
Ich könnte also mit beiden Händen essen, was ich teilweise auch tun muss, da ich für einhändiges Essen koordinativ, kognitiv zu bescheuert bin. Einhändig Brot zerreißen - schon mal probiert? Macht mal, und ihr wisst Bescheid...

Der Kurs ist gut, seehr gut, und schnell zu Ende. Zu schnell aus meiner Sicht. Ein Tag Anapana, 1 1/2 Vipassana und 1/2 Metha Meditation und schon ists durch. 10 Tage machen mehr Sinn. Was man mir prompt auch anbietet - und zwar in der Vipassana Global Pagode in Mumbai.  Man würde eine Teilnahme möglich machen (was in der Tat heisst, dass jemand anderes rausgekickt wird)...
Ich verzichte, bin ich jetzt mehr am weltlichen Leben Indiens interessiert.

Und ziemlich weltlich wirds gleich wieder, als ich das Kloster verlasse und mich in ein Sammeltaxi Richtung Nashik falte. Die Karre ist ein japanischer Minibus und wird ordentlich vollgemacht. Für zunächst 150 Rp (2€), dann für 100€ darf ich vorne sitzen - Inder zahlen 50Rp für die 90 Minuten Fahrt. 
Meine Knie haben direkt Kontakt mit dem Armaturenbrett. Auch nur annähernd aufrecht sitzen ist nicht - ich bleibe gefaltet. Immerhin vorne, denk ich mir - und bekomme einen Nebenmann vorne auf die durchgehende Sitzbank: Mangels Platz nimmt er kurzerhand den Schaltknüppel zwischen die Beine und stellt seine Beine links und rechts neben das Kupplungspedal!! Holy Cow.
Die 50 km Fahrt hat neben atemberaubenden Sitzpositionen auch atemberaubende Ausblicke. Eine Landschaft, die mich an das Monument Valley im Westen Amerikas erinnert. Leicht diesiger Sonnenuntergang durch die vielen Buschfeuer die lodern. 
Adjutana sitzen ist dennoch bequemer..

Der Fahrer hat knallrote Augen von dem Kautabak, oder ist es Betelnuss, das er sich da kontinuierlich in den Mund schüttet. Gekonnt greift er dem zweiten Beifahrer - gottseidank nicht mir - beim Schalten zwischen die Beine. Kuppeln, bremsen, schalten (und Hupen!) kein Problem. Auch nicht mit zwei Beinen im Weg.
Irre.


Nasik

An einer Hauptverkehrsstrasse ist meine Fahrt zu Ende. Das Sammeltaxi dreht um, die Betelnuss ruft mir noch zu, dass die Taxis da drüben mich weiterbringen.
So schön, so gut. Problem ist: die sind auf der anderen Strassenseite!

Ich schultere also meinen Rucksack, vertrau Dhamma, das alles gut geht - und hechte los. Zu übersehen bin ich nicht - aber auch nicht zu verfehlen.

Aber es gelingt. Die erste Autoriksha versteht mich nicht, der zweite - Santosh - will mich für 170Rp fahren. Ich lach ihn an, und mein für 100 bin ich gerade 50km weit gekommen, und ich würde dann wohl laufen, bis ich jemand finde, der mich für 50 die letzten Meter in mein Hotel bringt… Ja, aber Sammeltaxis haben mit seinem Privatservice nichts zu tun, und ich müsste doch bedenken,…
So geht das ein bisschen hin und her. Wir lachen, machen Spässe und ich komm fuer schlussendliche 100 bringt er mich in mein Hotel, wo man bereits auf Mr. Mark wartet…

Hier werd ich fürstlich bewirtet - muss mich sogar umsetzten, damit ich das Cricket Spiel besser sehen kann. Die haben keine Ahnung, dass ich keine Ahnung von Cricket habe, also mampfe ich brav Cricket schauend meinen Fried Rice ;-)
Zum Nachtisch gibt es aus einer silbernen Schale eine Limette in transparenter, warmer Flüssigkeit. Häh?
Bevor der Foreigner jetzt das Wasser für Tee hält, und es in Kampai Manier sich hinter die Binde kippt, macht man mich höflich drauf aufmerksam, dass ich da meine Hände drin waschen kann..
Aha :-)
Auf dem Zimmer mach ich dann nach 3 Stromausfällen selbst das Licht aus.


Am nächsten Tag penn ich aus. ich hab keine Eile und dreh mich dreimal rum bis ich mich am späten Nachmittag aufmache, die heiligen Bade-Ghats zu erkunden. Laut Reiseführer ist Nasik eine heilige Stadt - der Legende nach hat der Himmelsgott Indra auf seiner Flucht mit dem Trank der Unsterblichkeit hier eine Träne des Tranks verloren.


Und so findet hier alle paar Jahre eines der grössten Pilgerfeste der Welt statt, zu dem über 10 Mio Gläubige eintreffen. Das nächste Mal allerdings erst 2015 - und nicht heute. Schade ;-)
Ich schlender an den Badestellen entlang, schau mir den Gemüse und Kräutermarkt und das restliche bunte Treiben an. Hier seh ich auch zum ersten mal wirklich richtige Armut. Krüppel, Penner, verwahrloste, nackte Babies...


Aber auch Wäscherinnen, die mit Knüppeln auf ihre Wäsche eindreschen und Kids, die einen Höllenspass in den heiligen Gewässern haben; Erwachsene Männer, die mich einladen, mit Ihnen zu schwimmen...
Dabei versuch ich mir vorzustellen wie hier 10 Mio Menschen sich in die Brühe werfen. (Zur Erinnerung 6,4 Mio Besucher hatte die gesamte Wiesn letztes Jahr). Mannmannmann

Auf dem Gemüsemarkt, den ich gebeugt begehn muss, da die schattenspendenen Laken so tief aufgehängt sind, spricht mich Raul an, ein 21 Jähriger Informatikstudent an der Nahgelegenen Universität.
Er will wissen, was er wie studieren soll, um wirklich erfolgreich zu werden.

Wir verbringen den Rest des Nachmittags zusammen, Er zeigt mir einen berühmten Hindutempel und gibt mir einen Crashkurs in indischem Essen. Dafür geb ich Karrieretipps… ;-)

Dazwischen werde ich immer wieder zum fotografieren angehalten, man drückt mir weinende Kinder - die vor dem bleichen Riesen furchtbare Angst haben - in die Hand und vergleicht mich mit irgendwelchen Bollywood-Superstars, die ich nicht kenne.

Apropos Tränen: Leider seh ich hier auch meinen ersten Unfall: Aus den Augenwinkeln sehe ich eine Frau, die mit ihrem Scooter an dem Aussenspiegel eines Autos haengen bleibt: Die Maschine fliegt in die eine Richtung, sie in eine andere und das Paket, das sie im Arm hat wieder in eine andere. Der Scooter knallt unter ein Auto, sie rappelt sich auf und flitzt panisch in Richtung Paket: ihre ca. 3 jährige Tochter, die wie am Spiess schreit.

Der Anblick der Mutter, wie sie ihr schreiendes Kind an sich drückt, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Bevor die zwei in einer entstehenden Menschenmenge untergehen, seh ich kurz das Mädchen: schmerzverzerrt aber soweit ohne Kopfverletzungen...

Puhhh.

Zum Schluss des Tages sitzen wir in dem laut Raul besten Lassiladen der Stadt wo ich mir mein erstes indisches Mango-Lassi reinziehe.
Himmlisch - bis ich auf das erste Eisstück in dem Milchshake beisse und unwiederbringlich an die brackige Brühe der Badestätten denken muss… Naja, wir werden sehen, wie es weitergeht…

Von meiner Zeit in Bhagwan's, äh Osho's Ashram, Sadhu Vaswani und anderem Inspirierendem in Pune - das nächste Mal. Stay tuned!

Sonntag, April 07, 2013

Indien - Day One


[Igatpuri, Indien, 05.April 2013]

So, meine Lieben. Der Reisefisch hat Indien erreicht.
Diese Grüße erreichen Euch von der Vipassana International Academy in Dhamma Giri, dem Berg Dhammas in Igatpuri, ungefähr 120 km weg von Mumbai.
In vier Stunden beginnt mein Vipassana Kurs und noch haben sie mir nicht alles abgeluchst, was mich in den nächsten drei Tagen vom Meditieren abhalten könnte, also nutz ich die Zeit und bring mal zu Papier, was mir bisher passiert ist

Die Anreise war lang. Aber erträglich.
Mit dem Flixbus für 15€ Frankfurt Haupftbahnhof, mit der S-Bahn für 4,20€ zwei Stationen zum Flughafen. Dort werd ich am leeren Schalter der Saudia Airlines direkt mit Namen begrüßt.
Nanu, bin ich schon so spät? Nein, der Teutonenname, zusammen mit meiner Teutonenfigur ist ausreichend genug für den Steward am Check-In
Kurzer Zwischenstopp in Jeddah, dem Einfallflughafen nach Mekka. Hier fall ich dann auch noch durch meine Kleidung auf. Weder weiss wie die Gewänder der Pilger, noch schwarz wie die der Frauen, sonder Travellerbraun sitzt er da, bzw. lässt sich in den Anschlussflieger spülen: der Flieger wird aufgerufen und alles stürmt los. Keine Reihe, keine Schlange, nee hier ist Rudelbildung angesagt. Und zwar die ganz hektische.

Im Flieger hab Ich einen leicht übergewichtigen Twen mit Schnauz neben mir, der sich auf dem Nachtflug nach Mumbai schön an mich rankuschelt.  
Um das nicht noch intimer werden zu lassen, verschwinde ich aufs Scheisshaus. Und es macht seinen Namen alle Ehre: das Scheisshaus ist das verschissenste Loch das ich auf nem Flieger je gesehen habe. Die Stewardess verhüllt ihre Nase, tritt mit dem Fuss irgendwie in der Toilette rum und pustet eine gefühlte halbe Flasche Parfum in den halben Quadratmeter, dann winkt sie mich rein. Jetzt ist es nicht nur die verschissenste Toilette, nein, es ist auch die bestriechenste, bestverschissenste Toilette die ich auf dem Flieger je gesehen habe…

Das Rudel treff ich bei der Gepäckausgabe und beim Zoll wieder. Diesmal kann ich es nicht einfach an mir vorbeirauschen lassen, nein diesmal muss ich mitten rein. Mit dem Rucksack auf dem Rücken und blauen Waden von den hintenreindrängelnden Rudel-Gepäckwagen verlass ich das Gebäude und organisier mir einen Fahrer nach Igatpuri.
Müde vom Flug und der Drängelei weckt mich der Verkehr in Mumbai wieder auf. Und damit mein ich nicht die Hupen, die wie in Thailand und Bali das Unverzichtbarste an den Verkehrsmitteln sind, nein, damit mein ich den Verkehr.
Hier trifft alles zusammen: Linksverkehr mit den Moto-boys aus Sao Paolo, den Tuk-Tuks aus Bangkok, taiwanesiche Roller auf nicht geltende Fahrspuren und diesen komischen blinken Diskolichtern an den Strassenecken. Wie heissen die nochmal? Ach ja: Ampeln. Funktion: Mahnmal Zierde, manchmal Hindernis, manchmal auch bindend.
Alter Verwalter. Eigentlich sollte ich doch besser die Augen zumachen so krank drängelt sich mein Fahrer durch den Verkehr, schiebt sich passgenau unter LKW Ladeflächen durch, drängt sich zwischen Trucks, lässt Motorradfahrer beinahe absteigen. Und das Ganze einhändig. Die eine Hand am Lenkrad, die andere an der Hupe. Wie alle anderen auch.

Geschätzte 3 Fahrbahnen. Markierungen sind nicht zu erkennen, weil ca 8 Fahrzeuge nebeneinander fahren. Bus, Taxi, PKW, LKW, Strassenfressstand auf Rollen, Motoroller mit 3 Leuten drauf, wird überholt von Autoriksha mit 9(!) Leuten drin, wir plus noch Passanten, die die Fahrbahn queren. Auf die wird keine Rücksicht genommen, denn - tut sich irgendwo in dem Gedränge eine Lücke auf - wird riegerros reingestochen, abgedrängt, ausgebremst. Der Hammer.

Rechtsabbiegespuren gibt es auch nicht.  Will man rechts abbiegen, biegt man in die entgegenkommenden Blechlawine ein und tastet sich dann vor. irgendwann ist man soweit drin, dass man als Hindernis wahrgenommen und umfahren wird. Steht die Blechlawine, dann nutzt man den Moment und schiebt sich noch weiter rein, so dass man unwiederbringlich den entgegenkommenden Verkehr blockiert. Jetzt muss man sich nur Stück um Stück weiter durchschieben, bis die entgegenkommenden Hupen links und nicht mehr rechts an einem vorbeizukommen versuchen. Die Blechlawine rechts wird also dünner und dünner und irgendwann ist man rechts abgebogen. Der Weg ist frei - bis zur nächsten Kreuzung, wo sich irgendwelche dreisten Hupen erlaubt haben, zu versuchen, rechtsabzubiegen… das kann man so nicht stehen lassen, dieser Platz zum Abbiegen darf nicht gewährt werden! Nein da wird riegerros reingestochen, zugemacht, ausgebremst - und gehupt.
Ein Erlebnis.  

Es geht raus Richtung Nordosten. Der Verkehr lichtet sich, ich mach die Äugeln zu. 

Igatpuri. Eine Hauptstrasse. Ein Bahnhof. Der Fahrer fragt nach dem Weg. Dann schließlich - etwas ausserhalb gelegen - ein Hotel: meins.
Mr. Marc wird schon erwartet und mit dem Aufzug in den dritten Stock gekarrt. Der Aufzug hat eine offene Kabine, die sich nur bewegt, wenn man das Gitter vorschiebt. Ähnlich der Aufzugkabine in Titanic.Wenn das Gitter offen ist, spielt das Ding Jingle Bells. Mein Zimmer liegt direkt neben dem Aufzug… Was mit dem Schiff passiert ist, wisst ihr ja… 

Ich penne, dann erkunde ich die "Stadt" und die Züge mit denen ich dann nach de Kurs Igatpuri wieder verlassen will.
Meine ersten Eindrücke von Igatpuri, von Indien sind…
irgendwie genauso und wieder bisschen anders, wie man wichs vorstellt:
Leuchtende Saris, stinkende Autorikshas,Strassenfressstände, Kinder, Kinder, Kinder, Dreck, übervolle Züge ohne Fenster oder Türen, Kühe, Marktfrauen sitzen auf dem Boden, verkaufen Fliegen und ein paar Trauben; überall Mopeds, äh, Hupen, Gewürze, Frittiertes, Abrissbuden, Löcher in den Strassen, riesengroße Kinderkulleraugen und blendend weisse Zahnreihen rufen "Hello!" ; gaffende Männer und Frauen, ab und an ein schüchternes Lächeln; Hühner, Hunde, Kloake.Weihrauch.
Boah - ich bin platt. Ich bin der einzigste Europäer weit und breit, vielleicht in der ganzen Stadt. Wo ich stehen bleibe, bilden sich Rudel, also bewege ich mich lieber. 
Eine alte Frau in einem zerrissenen Sari greift mich am Arm. Sie geht mir gerade bis zum Oberarm, in den sie sich krallt. Ich blicke in silberne Augen. Die Pupillen vollständig vom grauen Star besetzt. 2 Zähne noch im Mund, absolut verdorrtes Gesicht und Körper. Ne Szene wie aus dem Horrorfilm.

Ich laufe durch die Gässchen einen Hügel hoch. Ein eindrucksvolles goldenes Tor. Damma Ghiri - der Berg Dhammas. Sitz der Vipassana International Academy, die mir erst letzte Woche den Platz für den Führungkräftekurs bestätigt hat…
Eine grüne Oase. Palmenhaine, Buddha-Bilder, viele Blumen, kultiviertes, bewirtschaftetes Land, ein paar streunende Hunde. Ich quatsche mit den Leuten an der Registrierung und verlass dann das Kloster wieder.

Die Frage die noch offen ist: was Essen? Hab ich doch keinen Bock meine, und die Meditation der Anderen durch einen sich-verreissenden europäischen Magen zu stören…
Ich entscheide mich für Bananen und Brot vom Markt. Dabei muss ich so jämmerlich erfolglos versucht haben zu handeln, dass mir der Bananenverkäufer mit mitleidiger Miene noch ne Extrabanane ins Zeitungspapier wickelt. 
Und so geht mein erster Tag in Indien mit Banane, Brot und Wasser für insgesamt 50Rupien, also etwa 70 Cent zu Ende.