Goa ist nicht gleich Goa. Und Goa ist überhaupt nicht dem Goa, wie ich es mir vorgestellt hab. Tiefe, dröhnende Bässe, verpillte Leute, Parties bis in den Morgen.
Nein, abgesehen davon, dass ich es darauf auch nicht abgesehen habe, so ist Goa auch nicht.
Die Zeiten, an denen die Bässe der Strandparties bis in den Morgengrauen schallten, sind vorbei. Spätestens um 23:00h ist die laute Musik rum. Dafür gibt es sogenannte Silent Discos, hier kommt die Dröhnung aus ausgeteilten Kopfhörern. Drei Musikrichtungen zur Wahl.
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Das sagt die Süddeutsche |
So ist das jetzt in Goa. Ganz Goa? Nein! Nur in Anjuna - so erzählt mir Peter - wirkt der Zaubertrank des korrupten Geldes noch stärker in der Lokalverwaltung als die Verordnungen der Landesverwaltung.
Peter, ein hagerer, ausladend und abrupt mit Armen und Kopf gestikulierender, sehr netter Brite ist selbst Partyveranstalter (Leopard Valley) und auf dem Weg in den indischen Norden, wo er ein ganzes Tal für eine fünf monatige Partylocation einrichten will.
Solange, bis der Monsun vom Süden ablässt und die Touristen nach Goa zurückkommen.
Ich treffe ihn - dessen Gestik selbst auf intensive Drogenerfahrungen schliessen lassen könnte - in Agonda Beach, wo wir durch Zufall zusammen frühstücken
Peter, genau wie tags zuvor Christina empfehlen mir The Nest als Quartier in Palolem Beach, laut Reiseführer *dem* Sinnbild Traumstrand in Goa.
Gesagt, getan und so klopfe ich mittags bereits an die Tür von Morhan, dem Betreiber des Nests, Grüße brav von Peter und schwups hab ich eine der zwei Hütten direkt am Strand - für 700Rp am Tag, also weniger als zehn Euronen. So kann man auch wie Christina als Hartz IV Empfängerin Urlaub an nem Traumstrand machen.
Ich lauf den Strand entlang. Sichelförmig zulaufend, superfeiner, weisser Sand, eingefasst von Felsen und von einem Fluss. Ja, der Reiseführer hat recht. Traumhaft schön. Könnte so auch in der Karibik stehen.
Strandbar an Strandbar an Restaurant, jeweils dahinter haben alle mehr oder minder gleich eingerichtete Hütten.
Ein paar Strandliegen, auf denen mich nackte, schwedische Brüste anblitzen.
Äh - hä?
Für die prüden Inder muss das wie purer Porno oder alternativ wie ein Schlag ins Gesicht sein, schicken sie doch ihre Frauen nach wie vor ausschliesslich in Saris ins Meer…
Äh - hä?
Für die prüden Inder muss das wie purer Porno oder alternativ wie ein Schlag ins Gesicht sein, schicken sie doch ihre Frauen nach wie vor ausschliesslich in Saris ins Meer…
Ich treffe Ken, einen Mitvierziger, der unverschämt braungebrannt und unverschämt lässig in der Hängematte vor seiner Bretterbude hängt und auf seinem Airbook im Internet surft.
Er ist schon seit vier Monaten hier - und bleibt noch bis in die erste Maiwoche, bis sie hier alles platt machen.
Es ist nämlich keinerlei ganzjährige Bebauung am Strand zugelassen. Das heisst, die netten, kleinen Bretterbuden haben eine Halbwertszeit von weniger als acht Monaten. Vor dem Monsun muss alles weg - und nach dem Monsun wird alles wieder aufgebaut.
Alles. All die Hütten, Restaurants, Strandpubs. Die ganze Infrastruktur, die sanitären Einrichtungen, die fahrlässigen Elektroinstallationen.
Eine davon findet sich in meinem "Bad". Direkt unter dem Duschkopf haben sie offen die Kabel für den Wasserboiler und den Lichtschalter verlegt. Aber alles funktioniert. Ohne das jemand umkommt.
Erinnert mich an die indischen Softwarelieferungen für die o2 ;-)
Weiter geht es denn Strand entlang. Meine Hautfarbe - ganz im Gegenteil zu Ken's und den Schwedenbrüsten - zeichnet mich als Newcomer aus und so hab ich entweder eine Inderin an mir hängen, deren Shop ich unbedingt besuchen muss, oder ich hab einen Fischer der mir - in absteigender Reihenfolge - eine Delfinausfahrt, eine Fischausfahrt oder Marihuana aufschwatzen will…
Naja, nicht ganz mein Karma, der Strand hier.
Aber ich lass das Ganze auf mich wirken.
Morgens erfind ich den Palolem Triathlon: ich jogge barfuss 3mal den Strand entlang, dann schwimm ich ihn einmal ab und verdinge mich den Rest des Tages in Whale Watching (es gibt noch ein paar dickbäuchige, cross angebratene Russen und Besatzer-Briten hier) und Power Reading. Natürlich schaue ich auch nach der Hautfarbe der Schwedenbrüste…
Hier hat jedes Restaurant fünf bis sechs domestizierte Strassenhunde, die jeweils einen Strandabschnitt als ihr Revier ansehen und ihn recht rabiat verteidigen. Die Köter liegen - ähnlich wie die Touristen - eigentlich die meiste Zeit faul im Sand. Wehe aber ein fremder Hund kreuzt den Abschnitt:
Der Alpha des Rudels spannt den Eindringling als erstes. Der Rudelführer des Nests kann zwar kaum noch laufen. Muss er aber auch nicht, das machen seine Jungs. Er bellt, heult und kläfft und schon schiesst es aus allen Ecken auf den Eindringling. Wie sie da aus allen Richtungen angeschossen kommen und sich auf den armen Hund am falschen Strandabschnitt stürzen ist recht furchteinflössend. Auch das Herrchen des Hundes ist be-"stürzt"… WTF?
Mehr als der einprägsame Auftritt und Gekläffe kommt dann aber nicht dabei raus… Was ja auch in Ordnung ist. Hundegeschnetzeltes am Traumstrand muss dann auch nicht sein.
Mir fällt auf, das viele Inder nicht wirklich schwimmen können. Kaum einer ist brusttief im Wasser. Viele stehen in der Brandung wie Leergut. Einige probieren zu kraulen und zwar mit Kopf, Füssen und Armen gleichzeitig aus dem Wasser. Da läuft das Alphatier des Nests graziöser durch den Sand…
Ich schwimme hinter der Brandung im Meer und ziehe an einem Zweierkajak vorbei. Ein junges indisches Pärchen übt sich am Paddeln. Vollkommen ausser Takt versuchen sie ihr Kajak zu steuern. Sie patscht mit ihrem Paddel wie mit einem Kochlöffel im Wasser rum. Er giftet von hinten ohne es wesentlich besser zu machen. Manövrieren ist nicht wirklich und so zieht es sie langsam aber sicher wieder in die Brandung. Man müsste nur ein, zwei synchrone Züge hinkriegen und schon wäre man aus der Gefahrenzone.
Die zwei arbeiten lieber an ihrer Kommunikation.
Indien ist in vielerlei Hinsicht anders als Europa. Das uns bekannte Kopfnicken ("Ja"-Geste), ist hier eher ein Kopfwackeln, wo sich der Kopf seitlich links und rechts vom Ohr Richtung Schulter neigt und bedeutet mal Ja, mal Nein. Eigentlich bedeutet es: ich habe Dich zur Kenntnis genommen - so ist zumindest meine Interpretation. Die starke rechte und die schmutzige linke Hand - allgegenwärtig im Alltag. Beim Trinken aus Plastikflaschen berührt die Lippe oftmals nicht die Flasche sondern das Wasser wird mit einigem Abstand in den Mund "gegossen". Oder das freudige Erstaunen: was bei uns mit einem "Heyyy", und einem Grinsen quittiert wird, erzeugt hier oft ein Schnalzen mit der Zunge - und das schon benannte Kopfwackeln.
Ohhh, da gibt es noch viel mehr interessantes Unterschiedliches zu berichten. Dazu vielleicht später noch mehr.
Was allerdings bei dem Päarchen auf dem Kajak abläuft, könnte 1:1 genauso auch in Deutschland laufen:
Ohhh, da gibt es noch viel mehr interessantes Unterschiedliches zu berichten. Dazu vielleicht später noch mehr.
Was allerdings bei dem Päarchen auf dem Kajak abläuft, könnte 1:1 genauso auch in Deutschland laufen:
Er meckert, sie meutert - und beide zieht es ganz langsam und unbemerkt zurück in die Brandung...
Das nächste was ich sehe, ist die Unterseite eines gelben Kajaks, das durch die brechende Welle mit der Spitze nach oben aus dem Wasser hinauskatapultiert wird. Flankiert von zwei Paddeln. Als die Welle ausrollt, tauchen beide bedröppelt aus den Fluten… ;-) Nix für ungut. In Deutschland gäbe es jetzt noch eine Weile schlechte Stimmung, ich denke hier ist das nicht anders...
An der Strandbar lerne ich Koos und seine Freundin kennen und wir gehen zusammen Abend essen. Es gibt Fisch und jede Menge Weltenbummlergeschichten.
Unter anderem die, wie sie in Delhi abgezogen worden sind:
Aus Australien mit dem Nachtflieger in Delhi ankommend, steigen sie mitten in der Nacht in ein falsches Taxi ein.
Das Taxi soll sie nach Delhi zu ihrem gebuchten Hotel bringen. An einem "Road closed" Schild ist die Fahrt zu Ende. Der Taxifahrer kann nicht weiter. Dreht um und fährt sie zu einer Touristeninformation, um sich nach dem richtigen Weg zu erkundigen.
Die Touriinfo ist in einem Elendsviertel. Jede Menge zwielichtige Gestalten, Bettler, Penner, Kriminelle, Rauschgiftsüchtige. Die Touristeninfo erklärt die Strassen nach Delhi sind aufgrund eines Festivals geschlossen.
Die Typen hinter dem Counter sind bei der nun folgenden Hotelabtelefoniererei sehr hilfsbereit. Jede Hotelnummer die Koos und seine Freundin raussuchen wird vom Personal angewählt, dann geht der Hörer zurück zu dem holländischen Päarchen.
Nichts zu machen. Alle Hotels sind ausgebucht oder auf der Strasse nicht mehr zu erreichen.
Die einzigsten verbliebenen Alternativen sind eine Übernachtung für teures Geld direkt hier im Elendsviertel, eine Fahrt nach Kaschmir für 350€ oder eine Fahrt in Richtung Agrar für 250€.
Die Zwei wollen sowieso zum Taj Mahal und so wird in den sauren Apfel gebissen und sich auf in Richtung Agrar gemacht.
In der Morgendämmerung dämmerts dann auch im Taxi. Der übereifrige Taxifahrer am Flughafen, das komische "Road closed" Schild, so garnicht auf der Hauptverkehrsstrasse, ne Touriinfo, die mitten in der Nacht noch auf hat; und keine einzige Nummer selbst gewählt…
Herzlich willkommen in Indien!
250€ ärmer; dafür um eine Geschichte reicher ;-) - und noch am Leben!
Die zwei sind wohl nicht die einzigsten, die abgezogen worden sind. Ihre Masche und noch ein paar andere hab ich hier gefunden...
Für mich geht es weiter - diesmal mit dem Zug. 8h Richtung Landesinnere.
Ich bekomme von ner Bude am Strand ein Ticket ausgestellt mit detaillierten Informationen zu Zug, Abteil und Sitzplatz und so stehe ich morgens um 7h30 pünktlich zur Abfahrt bereit an der Plattform in Margao. Hier lass ich mich ziemlich derbe von einem alten Mann mit gesprengter Hüfte und einer leprösen(?) alten Frau anbetteln, die mir ihren Stumpf mit den verfaulten Finger unter die Nase hält. Eiiii Karamba!
Ich brauch einen zweiten Anlauf den Bahnsteig lang, bevor ich im richtigen Abteil in einer Schlafkoje lieg und mich zunächst durch Regenwald, dann dürch Ödnis rütteln lasse.
Ich rationiere meine Packung Kekse vom Bahnhofskiosk völlig umsonst, ist der Zug doch bestens organisiert. Was hier alles durch die Gänge getragen wird, ist unglaublich! Kästenweise Getränke, riesige Thermoskannen mit Caj, Brot, Chips … alles da!
Schliesslich streckt auch ein Inder seine Nase durch meinen Vorhang und fragt, was ich zum Mittagessen haben will. Von dem runtergemurmelten Menu versteh ich nur Veg Byrianji und so lass ich mir nach einem schönen Nickerchen pünktlich um 12:00h das vegetarische Reisgericht schmecken. Kurz denk ich über die Stechapfel Horrorstories und Warnungen aus Deutschland nach, ja nichts auf Reisen von Fremden anzunehmen…
… Dann lass ich es mir schmecken. Wird schon gutgehen.
Und das tuts auch.
Kurz vor Hampi macht mich ein junger Kerl drauf aufmerksam, dass wir gleich da sind. Und fragt nebenbei ob ich ein Taxi brauche. Jetzt sind die Burschen schon im Zug am Tourischleppen! Irre!
Als ich bei "Kay", was soviel wie Kokosnuss bedeutet, und seinem Kumpel "Dollar" in der Rikscha hänge, lerne ich ihre Masche:
Ein paar Kilometer vor Hampi wird der Zug zur langsamen Fahrt gezwungen. Das ist der Moment wo Kay die Füsse in die Hand nimmt und auf den fahrenden Zug aufspringt.
Dollar rennt nie, denn er hat eine Familie zu versorgen - das Ganze ist wohl nicht ungefährlich. Die riskieren hier für 2€ - soviel kosten die 14km nach Hampi - tagtäglich ihr Leben!
Hampi - seit 1986 Weltkulturerbe - entpuppt sich als Dörfchen in Ruinen. Einmal antike - und ganz aktuelle Ruinen.
Das Dörfchen liegt nämlich mindestens zu zwei Dritteln in Schutt und Asche. Es gibt vielleicht 30-40 zweigeschössige, eng stehende, noch intakte Häuschen. Der Rest: eingerissener Bauschutt. Zwischen Betonbrocken seh ich Namen von Guesthouses am Boden liegen. Was...?
Später soll ich erfahren warum. Der Reiseführer spricht von Auflagen der Unesco. Inoffiziell sind allzu leicht bekleidete Touristinnen und stilloses Verhalten Derselben während einem heiligen Fest an dem auch hohe indische Regierungsmitglieder vor 3 Monaten anwesend waren der Anlass für den rigorosen Abriss. Das Mass war wohl voll...
Ich ziele auf eine ruhigere Umgebung nach dem doch bis 23:00h recht lauten Goarummel und setze mit einem kleinen 12 Personen Boot auf die Nordseite des Flusses über. In der Nussschale treffe ich Erich aus Darmstadt und Laura aus Südtirol die mir ein traumhaft ruhig gelegenes Guesthouse mitten im Reisfeld empfehlen.
Das Sima Guest House liegt 3km entfernt und so spüre ich zum ersten Mal eine längere Strecke meinen "leichten" Rucksack.
"Wer fröhlich reisen will, muss mit leichtem Gepäck reisen", sagte ich bereits, oder?
Ich ergänze "Wer fröhlich reisen will, muss mit leichtem Gepäck und nicht mitten in der Mittagssonne reisen" ;-)
Schliesslich ist der Weg geschafft, Mardan - ein freundlicher, moslemischer Reis- und Marihuanafarmer - empfängt mich mit einer eiskalten Coca-Cola. Ich pflanze mich in eine Hängematte und komme erst mal an.
Wow. Die Farm ist wirklich idyllisch. ein kleiner Bach bewässert die paar Reisfelder. Fünf, sechs Hütten angelehnt an hohe, erodierte Felsen die an Devils Marble's in Australien erinnern. Kokospalmen. Hängematten. Caj.
Shanti, Shanti, sprich: super easy Atmosphäre, oder wie der Bayer sagt: "Ois easy!". Mardan nimmt mich für 300Rp, also für 4 Euro fünfzig in Vollpension. Alles inklusive. Breakfast, Lunch, Dinner, Getränke und sein Gras, das ich dankend ablehne (erinnert ihr Euch noch an #5?).
Hier werde ich deutlich länger bleiben, als geplant. Der Reiz von Hampi wird auch mich erwischen. Und nicht nur dass, sondern auch ein Hitzschlag, ein Strassenfestival, Überfälle, Gewehre, Geschichten.
Bleibt dran.
Shanti, Shanti.