[Igatpuri, Indien, 05.April 2013]
So, meine Lieben. Der Reisefisch hat Indien erreicht.
Diese Grüße erreichen Euch von der Vipassana International Academy in Dhamma Giri, dem Berg Dhammas in Igatpuri, ungefähr 120 km weg von Mumbai.
In vier Stunden beginnt mein Vipassana Kurs und noch haben sie mir nicht alles abgeluchst, was mich in den nächsten drei Tagen vom Meditieren abhalten könnte, also nutz ich die Zeit und bring mal zu Papier, was mir bisher passiert ist
Die Anreise war lang. Aber erträglich.
Mit dem Flixbus für 15€ Frankfurt Haupftbahnhof, mit der S-Bahn für 4,20€ zwei Stationen zum Flughafen. Dort werd ich am leeren Schalter der Saudia Airlines direkt mit Namen begrüßt.
Nanu, bin ich schon so spät? Nein, der Teutonenname, zusammen mit meiner Teutonenfigur ist ausreichend genug für den Steward am Check-In
Kurzer Zwischenstopp in Jeddah, dem Einfallflughafen nach Mekka. Hier fall ich dann auch noch durch meine Kleidung auf. Weder weiss wie die Gewänder der Pilger, noch schwarz wie die der Frauen, sonder Travellerbraun sitzt er da, bzw. lässt sich in den Anschlussflieger spülen: der Flieger wird aufgerufen und alles stürmt los. Keine Reihe, keine Schlange, nee hier ist Rudelbildung angesagt. Und zwar die ganz hektische.
Im Flieger hab Ich einen leicht übergewichtigen Twen mit Schnauz neben mir, der sich auf dem Nachtflug nach Mumbai schön an mich rankuschelt.
Um das nicht noch intimer werden zu lassen, verschwinde ich aufs Scheisshaus. Und es macht seinen Namen alle Ehre: das Scheisshaus ist das verschissenste Loch das ich auf nem Flieger je gesehen habe. Die Stewardess verhüllt ihre Nase, tritt mit dem Fuss irgendwie in der Toilette rum und pustet eine gefühlte halbe Flasche Parfum in den halben Quadratmeter, dann winkt sie mich rein. Jetzt ist es nicht nur die verschissenste Toilette, nein, es ist auch die bestriechenste, bestverschissenste Toilette die ich auf dem Flieger je gesehen habe…
Das Rudel treff ich bei der Gepäckausgabe und beim Zoll wieder. Diesmal kann ich es nicht einfach an mir vorbeirauschen lassen, nein diesmal muss ich mitten rein. Mit dem Rucksack auf dem Rücken und blauen Waden von den hintenreindrängelnden Rudel-Gepäckwagen verlass ich das Gebäude und organisier mir einen Fahrer nach Igatpuri.
Müde vom Flug und der Drängelei weckt mich der Verkehr in Mumbai wieder auf. Und damit mein ich nicht die Hupen, die wie in Thailand und Bali das Unverzichtbarste an den Verkehrsmitteln sind, nein, damit mein ich den Verkehr.
Hier trifft alles zusammen: Linksverkehr mit den Moto-boys aus Sao Paolo, den Tuk-Tuks aus Bangkok, taiwanesiche Roller auf nicht geltende Fahrspuren und diesen komischen blinken Diskolichtern an den Strassenecken. Wie heissen die nochmal? Ach ja: Ampeln. Funktion: Mahnmal Zierde, manchmal Hindernis, manchmal auch bindend.
Alter Verwalter. Eigentlich sollte ich doch besser die Augen zumachen so krank drängelt sich mein Fahrer durch den Verkehr, schiebt sich passgenau unter LKW Ladeflächen durch, drängt sich zwischen Trucks, lässt Motorradfahrer beinahe absteigen. Und das Ganze einhändig. Die eine Hand am Lenkrad, die andere an der Hupe. Wie alle anderen auch.
Geschätzte 3 Fahrbahnen. Markierungen sind nicht zu erkennen, weil ca 8 Fahrzeuge nebeneinander fahren. Bus, Taxi, PKW, LKW, Strassenfressstand auf Rollen, Motoroller mit 3 Leuten drauf, wird überholt von Autoriksha mit 9(!) Leuten drin, wir plus noch Passanten, die die Fahrbahn queren. Auf die wird keine Rücksicht genommen, denn - tut sich irgendwo in dem Gedränge eine Lücke auf - wird riegerros reingestochen, abgedrängt, ausgebremst. Der Hammer.
Rechtsabbiegespuren gibt es auch nicht. Will man rechts abbiegen, biegt man in die entgegenkommenden Blechlawine ein und tastet sich dann vor. irgendwann ist man soweit drin, dass man als Hindernis wahrgenommen und umfahren wird. Steht die Blechlawine, dann nutzt man den Moment und schiebt sich noch weiter rein, so dass man unwiederbringlich den entgegenkommenden Verkehr blockiert. Jetzt muss man sich nur Stück um Stück weiter durchschieben, bis die entgegenkommenden Hupen links und nicht mehr rechts an einem vorbeizukommen versuchen. Die Blechlawine rechts wird also dünner und dünner und irgendwann ist man rechts abgebogen. Der Weg ist frei - bis zur nächsten Kreuzung, wo sich irgendwelche dreisten Hupen erlaubt haben, zu versuchen, rechtsabzubiegen… das kann man so nicht stehen lassen, dieser Platz zum Abbiegen darf nicht gewährt werden! Nein da wird riegerros reingestochen, zugemacht, ausgebremst - und gehupt.
Ein Erlebnis.
Es geht raus Richtung Nordosten. Der Verkehr lichtet sich, ich mach die Äugeln zu.
Igatpuri. Eine Hauptstrasse. Ein Bahnhof. Der Fahrer fragt nach dem Weg. Dann schließlich - etwas ausserhalb gelegen - ein Hotel: meins.
Mr. Marc wird schon erwartet und mit dem Aufzug in den dritten Stock gekarrt. Der Aufzug hat eine offene Kabine, die sich nur bewegt, wenn man das Gitter vorschiebt. Ähnlich der Aufzugkabine in Titanic.Wenn das Gitter offen ist, spielt das Ding Jingle Bells. Mein Zimmer liegt direkt neben dem Aufzug… Was mit dem Schiff passiert ist, wisst ihr ja…
Ich penne, dann erkunde ich die "Stadt" und die Züge mit denen ich dann nach de Kurs Igatpuri wieder verlassen will.
Meine ersten Eindrücke von Igatpuri, von Indien sind…
irgendwie genauso und wieder bisschen anders, wie man wichs vorstellt:
Leuchtende Saris, stinkende Autorikshas,Strassenfressstände, Kinder, Kinder, Kinder, Dreck, übervolle Züge ohne Fenster oder Türen, Kühe, Marktfrauen sitzen auf dem Boden, verkaufen Fliegen und ein paar Trauben; überall Mopeds, äh, Hupen, Gewürze, Frittiertes, Abrissbuden, Löcher in den Strassen, riesengroße Kinderkulleraugen und blendend weisse Zahnreihen rufen "Hello!" ; gaffende Männer und Frauen, ab und an ein schüchternes Lächeln; Hühner, Hunde, Kloake.Weihrauch.
Boah - ich bin platt. Ich bin der einzigste Europäer weit und breit, vielleicht in der ganzen Stadt. Wo ich stehen bleibe, bilden sich Rudel, also bewege ich mich lieber.
Eine alte Frau in einem zerrissenen Sari greift mich am Arm. Sie geht mir gerade bis zum Oberarm, in den sie sich krallt. Ich blicke in silberne Augen. Die Pupillen vollständig vom grauen Star besetzt. 2 Zähne noch im Mund, absolut verdorrtes Gesicht und Körper. Ne Szene wie aus dem Horrorfilm.
Ich laufe durch die Gässchen einen Hügel hoch. Ein eindrucksvolles goldenes Tor. Damma Ghiri - der Berg Dhammas. Sitz der Vipassana International Academy, die mir erst letzte Woche den Platz für den Führungkräftekurs bestätigt hat…
Eine grüne Oase. Palmenhaine, Buddha-Bilder, viele Blumen, kultiviertes, bewirtschaftetes Land, ein paar streunende Hunde. Ich quatsche mit den Leuten an der Registrierung und verlass dann das Kloster wieder.
Die Frage die noch offen ist: was Essen? Hab ich doch keinen Bock meine, und die Meditation der Anderen durch einen sich-verreissenden europäischen Magen zu stören…
Ich entscheide mich für Bananen und Brot vom Markt. Dabei muss ich so jämmerlich erfolglos versucht haben zu handeln, dass mir der Bananenverkäufer mit mitleidiger Miene noch ne Extrabanane ins Zeitungspapier wickelt.
Und so geht mein erster Tag in Indien mit Banane, Brot und Wasser für insgesamt 50Rupien, also etwa 70 Cent zu Ende.