Montag, April 15, 2013

Von Vipassana, Tränen in Nasik, Osho in Pune und sonstig Spirituellem

[Agonda Beach, 15. April 2013]


Ich nehme Indien als sehr spirituelles Land wahr, daher komm ich jetzt doch nicht umhin, ein wenig von der spirituellen Seite Indiens zu erzählen.
Keine Angst, es wird nicht esoterisch, ich sing Euch auch kein Mantra vor, mal Euch kein Mandala und fürs Nagelbrett bin ich mir auch zu fein. Es bleibt also ganz praktisch....

Vipassana

Vipassana ist mehr als eine Technik, denn als eine Religion anzusehen. 
So wie man sich westlich praktiziertes Yoga als eine Anleitung zu einem gestärkten, gesunden Körper vorstellt, so ähnlich kann man sich Vipassana als einen meditativen Weg zu einem gelasseneren und damit glücklicheren Leben vorstellen.

Vipassana reinigt und fokussiert den Geist, in dem einem beigebracht wird, den unruhigen Geist zu konzentrieren. 
Ihr kennt das vielleicht selbst, ständig springen Gedanken in eurer Birne rum. Vergangenes wird nochmal gewälzt, dann wieder Zukünftiges geplant, das letzte Meeting im Office analysiert, ah ich brauch noch Milch, der dähmliche Chef, die nette Brünette letzten Donnerstag in der 089 Bar (diese Lippen!), muss zum Friseur, eigentlich hätt ich gern ne neue Karre, wie wärs eigentlich dieses Jahr mit ner Hütte in den Bergen und ner großen Geburtstagsparty??, jetzt schau Dir diese unmögliche Hose an!!, das Telefonat hätt ich anders führen müssen, wenn der Typ jetzt nicht bald die zweite Kasse aufmacht raste ich aus!!, usw.usw.usw...
Vipassana konzentriert den Geist im Jetzt. Und sorgt damit für Ruhe in dem kontinuierlichen Geplapper der Gedanken.

Balsam für das immerzu gehetzte Gemüt. Eine Lasik-OP für den Brillenträger. Farbe für den Farbenblinden. Ein Glas Wasser für das dauerklingende Handy am Nachbartisch. Eine Aschewolke für den Vielflieger CEO. Wie auch immer.
Zumindest hab ich das Ende Januar so empfunden und daher kam im Laufe des Jahres der Plan auf, einen weiteren Vipassana Kurs zu machen, und zwar da, wo die Technik seinen Ursprung hat.

 Und jetzt bin ich also hier, In Dhamma Giri, in dem grössten Vipassanazentrum der Welt, einer Pagode mit 357 Zellen, acht Meditationshallen, einem Forschungszentrum, immerzu zwei parallelen Zehntageskursen, Langzeitkursen (bis zu 60 Tage) und eben auch einem dreitägigen Kurs nur für Executives. 


So werde ich als "Old Student" also erneut Mönch, steh um 04:00 auf, ess um 11:30 (#6) das letzte Mal (fleischlos), gelobe die acht Regeln des Code of Disciplines einzuhalten, also die Schlange in der Hose zu lassen (#3), bewahre edle Stille (#4) und geh um 21:00 ins Bett. Zwischendrin kein Lesen, kein Schreiben, kein Sprechen, keine Gesten, kein Telefonieren und kein Bloggen, keinem Alkohol (#5), keinem Rock hinterherschauen (#7 - Männlein und Weiblein sind streng getrennt und wenn, dann sieht man eh nur Saris), sondern M E D I T A T I O N. 

Die Reise nach innen kann beginnen. Insgesamt zehn Stunden am Tag. 

Drei davon Adhitthana, d.h. "mit grosser Entschlossenheit", also bewegungslos. Was mir im Januar noch gellende Schmerzerfahrungen mit netten, grellen Farben beschert hat, geht durch die tägliche Praxis seitdem immer besser. Ja, ich darf feststellen, dass unerwarteterweise die indischen Mitstudierenden so ihre Gelenkprobleme haben, eiern wir doch nach den Sitzungen gemeinsam aus der Dhammahalle... ;-)

Die Einrichtung ist spartanisch (#8) - aber komfortabler als in Dhamma Dhvara, Deutschland. Ursprünglich enttäuscht, dass ich keine Zelle in der Pagode bekommen habe, bin ich nach Besichtigung einer solchen Zelle (s. rechts) recht froh über mein Einzelzimmer mit Nasszelle.

Das Essen - rein vegetarisch. Gegessen wird wie in ganz Indien nicht von Tellern sondern von Metalltabletts, die wir zum Servieren nutzen würden, darauf werden Metallschälchen - ähnlich zu den Tassen von Thermoskannen gestellt, die man sich mit Portionen füllt.
Dazu gibts Reis. Die Schälchen auf den Reis auf das Tablet giessen, vermischen, essen. Dazu gibts Nam - Fladenbrot.
Essen mit der rechten Hand! Die Linke gilt als unrein -  hier auf den Toiletten gibts kein Klopapier, es sei denn Du bringst welches aus München mit ;-).
Ich könnte also mit beiden Händen essen, was ich teilweise auch tun muss, da ich für einhändiges Essen koordinativ, kognitiv zu bescheuert bin. Einhändig Brot zerreißen - schon mal probiert? Macht mal, und ihr wisst Bescheid...

Der Kurs ist gut, seehr gut, und schnell zu Ende. Zu schnell aus meiner Sicht. Ein Tag Anapana, 1 1/2 Vipassana und 1/2 Metha Meditation und schon ists durch. 10 Tage machen mehr Sinn. Was man mir prompt auch anbietet - und zwar in der Vipassana Global Pagode in Mumbai.  Man würde eine Teilnahme möglich machen (was in der Tat heisst, dass jemand anderes rausgekickt wird)...
Ich verzichte, bin ich jetzt mehr am weltlichen Leben Indiens interessiert.

Und ziemlich weltlich wirds gleich wieder, als ich das Kloster verlasse und mich in ein Sammeltaxi Richtung Nashik falte. Die Karre ist ein japanischer Minibus und wird ordentlich vollgemacht. Für zunächst 150 Rp (2€), dann für 100€ darf ich vorne sitzen - Inder zahlen 50Rp für die 90 Minuten Fahrt. 
Meine Knie haben direkt Kontakt mit dem Armaturenbrett. Auch nur annähernd aufrecht sitzen ist nicht - ich bleibe gefaltet. Immerhin vorne, denk ich mir - und bekomme einen Nebenmann vorne auf die durchgehende Sitzbank: Mangels Platz nimmt er kurzerhand den Schaltknüppel zwischen die Beine und stellt seine Beine links und rechts neben das Kupplungspedal!! Holy Cow.
Die 50 km Fahrt hat neben atemberaubenden Sitzpositionen auch atemberaubende Ausblicke. Eine Landschaft, die mich an das Monument Valley im Westen Amerikas erinnert. Leicht diesiger Sonnenuntergang durch die vielen Buschfeuer die lodern. 
Adjutana sitzen ist dennoch bequemer..

Der Fahrer hat knallrote Augen von dem Kautabak, oder ist es Betelnuss, das er sich da kontinuierlich in den Mund schüttet. Gekonnt greift er dem zweiten Beifahrer - gottseidank nicht mir - beim Schalten zwischen die Beine. Kuppeln, bremsen, schalten (und Hupen!) kein Problem. Auch nicht mit zwei Beinen im Weg.
Irre.


Nasik

An einer Hauptverkehrsstrasse ist meine Fahrt zu Ende. Das Sammeltaxi dreht um, die Betelnuss ruft mir noch zu, dass die Taxis da drüben mich weiterbringen.
So schön, so gut. Problem ist: die sind auf der anderen Strassenseite!

Ich schultere also meinen Rucksack, vertrau Dhamma, das alles gut geht - und hechte los. Zu übersehen bin ich nicht - aber auch nicht zu verfehlen.

Aber es gelingt. Die erste Autoriksha versteht mich nicht, der zweite - Santosh - will mich für 170Rp fahren. Ich lach ihn an, und mein für 100 bin ich gerade 50km weit gekommen, und ich würde dann wohl laufen, bis ich jemand finde, der mich für 50 die letzten Meter in mein Hotel bringt… Ja, aber Sammeltaxis haben mit seinem Privatservice nichts zu tun, und ich müsste doch bedenken,…
So geht das ein bisschen hin und her. Wir lachen, machen Spässe und ich komm fuer schlussendliche 100 bringt er mich in mein Hotel, wo man bereits auf Mr. Mark wartet…

Hier werd ich fürstlich bewirtet - muss mich sogar umsetzten, damit ich das Cricket Spiel besser sehen kann. Die haben keine Ahnung, dass ich keine Ahnung von Cricket habe, also mampfe ich brav Cricket schauend meinen Fried Rice ;-)
Zum Nachtisch gibt es aus einer silbernen Schale eine Limette in transparenter, warmer Flüssigkeit. Häh?
Bevor der Foreigner jetzt das Wasser für Tee hält, und es in Kampai Manier sich hinter die Binde kippt, macht man mich höflich drauf aufmerksam, dass ich da meine Hände drin waschen kann..
Aha :-)
Auf dem Zimmer mach ich dann nach 3 Stromausfällen selbst das Licht aus.


Am nächsten Tag penn ich aus. ich hab keine Eile und dreh mich dreimal rum bis ich mich am späten Nachmittag aufmache, die heiligen Bade-Ghats zu erkunden. Laut Reiseführer ist Nasik eine heilige Stadt - der Legende nach hat der Himmelsgott Indra auf seiner Flucht mit dem Trank der Unsterblichkeit hier eine Träne des Tranks verloren.


Und so findet hier alle paar Jahre eines der grössten Pilgerfeste der Welt statt, zu dem über 10 Mio Gläubige eintreffen. Das nächste Mal allerdings erst 2015 - und nicht heute. Schade ;-)
Ich schlender an den Badestellen entlang, schau mir den Gemüse und Kräutermarkt und das restliche bunte Treiben an. Hier seh ich auch zum ersten mal wirklich richtige Armut. Krüppel, Penner, verwahrloste, nackte Babies...


Aber auch Wäscherinnen, die mit Knüppeln auf ihre Wäsche eindreschen und Kids, die einen Höllenspass in den heiligen Gewässern haben; Erwachsene Männer, die mich einladen, mit Ihnen zu schwimmen...
Dabei versuch ich mir vorzustellen wie hier 10 Mio Menschen sich in die Brühe werfen. (Zur Erinnerung 6,4 Mio Besucher hatte die gesamte Wiesn letztes Jahr). Mannmannmann

Auf dem Gemüsemarkt, den ich gebeugt begehn muss, da die schattenspendenen Laken so tief aufgehängt sind, spricht mich Raul an, ein 21 Jähriger Informatikstudent an der Nahgelegenen Universität.
Er will wissen, was er wie studieren soll, um wirklich erfolgreich zu werden.

Wir verbringen den Rest des Nachmittags zusammen, Er zeigt mir einen berühmten Hindutempel und gibt mir einen Crashkurs in indischem Essen. Dafür geb ich Karrieretipps… ;-)

Dazwischen werde ich immer wieder zum fotografieren angehalten, man drückt mir weinende Kinder - die vor dem bleichen Riesen furchtbare Angst haben - in die Hand und vergleicht mich mit irgendwelchen Bollywood-Superstars, die ich nicht kenne.

Apropos Tränen: Leider seh ich hier auch meinen ersten Unfall: Aus den Augenwinkeln sehe ich eine Frau, die mit ihrem Scooter an dem Aussenspiegel eines Autos haengen bleibt: Die Maschine fliegt in die eine Richtung, sie in eine andere und das Paket, das sie im Arm hat wieder in eine andere. Der Scooter knallt unter ein Auto, sie rappelt sich auf und flitzt panisch in Richtung Paket: ihre ca. 3 jährige Tochter, die wie am Spiess schreit.

Der Anblick der Mutter, wie sie ihr schreiendes Kind an sich drückt, lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Bevor die zwei in einer entstehenden Menschenmenge untergehen, seh ich kurz das Mädchen: schmerzverzerrt aber soweit ohne Kopfverletzungen...

Puhhh.

Zum Schluss des Tages sitzen wir in dem laut Raul besten Lassiladen der Stadt wo ich mir mein erstes indisches Mango-Lassi reinziehe.
Himmlisch - bis ich auf das erste Eisstück in dem Milchshake beisse und unwiederbringlich an die brackige Brühe der Badestätten denken muss… Naja, wir werden sehen, wie es weitergeht…

Von meiner Zeit in Bhagwan's, äh Osho's Ashram, Sadhu Vaswani und anderem Inspirierendem in Pune - das nächste Mal. Stay tuned!