[Clearwater 16. April 2011]
Aufgestanden in Banff, mach ich mich auf, endlich mal in eine offene Tourist Information zu kommen. Der Ranger hinter dem Counter ist nett und gibt mir nen ziemlich genauen Plan, wie ich das heute mache. Gibt mir Tipss zu den Local Must Sees in Banff, und hilft mir auch, was die Strassenverhaeltnisse Richtung Jasper angeht. Ist wohl eine einsame, nur von Touristen befahrene Strecke. Ohne Handy-Empfang. Ausserdem sind Schneestürme aus Calgary kommend angesagt. Ich soll mich also vorsichtshalber auf eine kalte Nacht vorbereiten, falls ich stehen bleibe. Sie empfiehlt mir eine Kerze mitzunehmen - das soll wohl schon immens helfen... Bei was? Bei Warmen-Gedanken-Machen? Ich weiss nicht...
Auch gibt sie mir eine Grizzly Bären Warnung fuer die Route hoch nach Jasper mit. Dabei hat sie aber mehr Angst um den Grizzly als um mich. ("Drive carefully and slowly in case you see him - we do not have that many any more.")
Ich soll ihn also nicht gleich über den Haufen fahren, wenn ich ihn seh.
Gut, mach ich. Zuerst klappere ich hier in Banff aber erstmal die Must-Sees ab. So z.B. die beinahe zugefrorenen aber ziemlich unspektakulären Bow Falls. Am mondänen Schloss Fairmont Banff Springs vorbei. Was macht so ein Kasten eigentlich hier im Dörfchen, wo kein Gebaeude mehr als 2 max. 3 Stockwerke hat?
Weiter zum Banff Lookout den Tunnel Mountain (ohne Tunnel) hoch. Auf halber Station will ich auf den Gipfel hochwandern, überlege es mir bei dem absolut vereisten Wanderweg aber schnell anders. Kein Bock mich hier auf die Fresse zu legen. Selbst mit Wanderschuhen hast Du auf dem von 1000 Füßen polierten Eis keinen Halt. Hmm: meine Schneeschuhe haben ein Eisprofil auf dem Eisenrahmen. Mit Schneeschuhen den Berg hoch halt ich aber auch fuer übertrieben und so entscheide ich mich, mich hier nicht lächerlich zu machen.
Ich leg also keine Schneeschuhe an, und ich lege mich auch nicht auf die Nase, sondern fahre nach den sensationell unspektakulären Sandstein Hoodoos noch den wunderschön zugeschneiten Lake Minnewanka an. Die Winteridylle in Schnee liegt mitten in strahlender Mittagssonnee, am südlichen Ufer geht direkt steil ein Berg an. Der Weg hat sich gelohnt! Auf dem zugeeisten See stehen Bootshäuser - aber alle Anlegestege sind vom Schnee und Eis bedeckt und nicht zu sehen.
Traumhaft pittoresk. Noch dazu weil ich hier wieder einmal komplett alleine unterwegs bin. Kein angloamerikanisches Geplapper, kein Motor, keine Frittenbuden, nur Canada und ich (Aber Eiscreme en masse ;-). Saugeil. Genau wie der davor gelegene Two Jack Lake. Hier ist "Frühling" schon ein bisschen weiter und hat das Eis in der Mitte des Sees bereits angeschmolzen.
Genug von Canada's populärsten Nationalpark und auf in den zweitpopulärsten: Jasper. Ich fahre dem von dem Ranger heute morgen empfohlenen "alten" TCH 1A wieder nordwärts in Richtung Lake Louise und muss auf der menschenleeren Strecke an den Grizzly denken...
Ich pass ja auf. Auch wenn ich hier wirklich der Einzige bin der faehrt, der Rest donnert auf dem neuen TCH dahin. Also halt ich zumindest das erste dutzend Kilometer vermehrt Ausschau nach Winnie Puh in gross - und finde ne alte Elchkuh auf dem Seitenstreifen stehend und mich wie ein Rind aus grossen Augen fragend anstarrend: "Warum fährst Du Vollidiot nicht wie alle anderen auch den neuen TCH hoch, he?"
Recht hat sie ja, und so fahr ich bei der nächsten Möglichkeit wieder auf die eingezäunte, neue Trasse des Trans Canada Highway. Hier gibt es sogar Überdachungen für die sichere Querung der Autobahn für Elch, Baer und Co.
Bei Lake Louise geht es dann runter vom TCH auf Highway 93. Ohne Kerze oder Schlafsack, dafür mit genialem Sonnenschein. Die Schneestürme aus Calgary lassen sich wohl noch ein bisschen Zeit und so staune ich auf der einsamen Strasse über die monumentale Wegbegleitung links wie rechts des "Icefields Parkway" - wie der Highway auch genannt wird.
BTW: Einer der um die 3000m hohen Wegbegleiter trägt tatsaechlich meinen Nachnamen, zu Ehren Schweizer Namensvettern, wie man hier (ab S.61) nachlesen kann.
Die Strasse an sich ist in der Tat leer. Mehrere Dutzend Kilometer kein Auto, keine Tanke, Raststätte oder Cafete. Cafe braucht man bei der Aussicht auch nicht. Anhalten darf man sowieso nur in bestimmten Zonen, da das gesamte Gebiet "Avalanche Country" ist. Wenn man dann da wo man darf aussteigt, ist es merklich einige Grad kälter - um nicht zu sagen : saukalt.
Das Icefield Center ist - na klar - noch geschlossen. Die Trucks, mit denen die Touristen aber ab Mai auf die Gletscher gefahren werden, sind schon da: monströse Trucks mit mannshohen Reifen. Ein Bild fürs Photoalbum gibts also schon ausserhalb der Saison ;-)
Zum Grössenvergleich hab ich meinen Altpapiercontainer mal daneben gesetzt - ich hätte ihn auch drunter parken können...
Dann, nach 250km: Jasper. Empfand ich Banff schon als Nest, so ist Jasper der kleine Bruder im Cowboy Look. Hatte Banff zumindest ein paar dreistöckige Häuser und ein Schloss, so hat Jasper eigentlich nur eine Strasse mit zweistöckigen Gebäuden, einen Bahnhof - und einer phänomenalen Postkarten-Bergkulisse drumrum.
Das Ganze in einem irgendwie authentisch wirkendem, neualtem Westernlook. Ich weiss nicht, irgendwie gar nicht kitschig, sondern saucool.
Am nächsten Morgen wandere ich durch den Maligne Canyon. Voll aufgerödelt wie immer in Bergschuhen, Snowboardjacke, Rucksack, dickem Pulli. Es ist kalt. So wie ich den Ranger hier in Jasper verstanden habe, hat der Maligne River durch ständige Erosion den Canyon aus dem Sedimentgestein der Rockies herausgeschnitzt.
Die Wanderung geht über sechs Brücken, die ersten zwei gehen auch noch über den River, naja besser: über den Gebirgsbach wohingegen die höher gelegenen, anderen vier nur noch über eine geschlossene und gefrorene Schneedecke führen.
Nicht nur die Schneedecke ist gefroren - auch der Wanderweg ist in den Schattenpartien eisig ohne Ende. Zunächst geht es noch über gefrorenen Morast, dann allerdings über blankes Eis, was die Wanderpartie zu einer Rutschpartie und dann zu einer Kletterpartie macht. An Baum, Strauch, Geländer festhaltend geht es den Canyon hoch.
Ich freu mich jetzt schon auf den Rückweg...
Egal. Und wenn ich ihn auf dem Hosenboden wieder runterrutsche, eine Umkehr kommt nicht in Frage. Viel zu schön ist es immer tiefer in den Canyon, bzw. an seinen Rändern in ihm immer höher zu gelangen...
Wie ein Affe hangel ich mich höher und komm an einer Rentnergruppe auf Steigeisen vorbei. Die schaun mich an, als hätte ich Flipflops anstatt Bergschuhe an und in gewisser Hinsicht habe ich mir die komischen Blicke auch verdient... Imaginärer Tarzanschrei!
Der Canyon ist märchenhaft. Überall Eiszapfen unter denen der Gebirgsbach plätschert. Kupfern marmorierte Bergwände in die die Sonne einstrahlt. Von oben blickt majestätisch der Baumbestand nach unten. Ein Eichhörnchen mitten im Ice Age auf der Suche nach ihrer Nuss. Fabelhaft.
Jetzt kommt mir ne amerikanische Familie in kurzen Hosen und Turnschuhen entgegen. Wie war das mit den Flipflops?
Wünsche guten Rutsch.
Oben angekommen wärm ich mich an der nun starken Mittagssonne und geh wieder runter. Besser ist wohl: gleiten. Hab ich mich vorher hochgehangelt, so schlidder ich jetzt im breiten Duckstance mit beiden Händen am Geländer oder im Gelände.
Weiter unten hat die Sonne den Morast inzwischen aufgetaut und ich kann mich entscheiden, ob ich auf dem Glatteis oder im Schlamm ausrutschen will...
Ich denke an die amerikanische Dame in ihren rosa Turnschuhen - und stapf gelassen durch den Matsch. Muss allerdings bald waschen. Mit der Wanderhose hier seh ich jetzt inzwischen selbst aus wie ein Hillbilly...
Nach den paar Kilometern Wandern heisst es dann wieder richtig Kilometer fressen - in der Karre. Es geht den Yellowhead Highway, dann die 5 wieder gen Westen. Leider ist das Wetter weniger brilliant für Fotos als gestern. Beeindruckend ist das Wetter aber nach wie vor. Ich fahre teils mit bajuwarischen Himmel, dann mit dichtem Schneetreiben oder nebelverhangenen Bergspitzen. Das Wetter in alpiner Umgebung ändert sich schnell. Um das zu begreifen, muss man nicht nur die Warnschilder lesen.
Ausser dem Wetter ändert sich wenig. Mit der richtigen Musik schick ich mein Bewusstsein auf Reisen. Denk an die Lieben zu Hause. Die Zukunft. Die Vergangenheit. Cruise Control. Kaffee aus dem einzigen Truck Stop weit und breit. Bei Lamb's "Heaven" zieht es mir die Schuhe aus und ich fahre mit Gänsehaut.
Ich fahr an der "Stadt" Aviola vorbei, die meilenweit mit den besten Burgern des Landes wirbt und letztendlich doch nur aus einem Restaurant (mit dem besten Burgern), einem Motel und einem Umspannwerk besteht. Ein ums anderer Mal wird man sich der kanadischen Wildnis bewusst, die einem beim Durchfahren durch diese unendlich langen, ununterbrochenen Waldlandschaften winfach nur deutlich macht, das der Mensch hier eigentlich nur das Geschwür an den Ausläufern der Strassen ist und hier noch ganz klar die Natur regiert....
Schliesslich Clearwater. Meiner Station für heute und Einstiegspunkt fuer den Wells Gray National Park morgen bevor ich wieder in die Zivilisation nach Vancouver zurückfahre.
Dann ist auch Schluss mit diesem lästigem überpreistem Motelgehopfe. Viel lieber würde ich die (geschlossenen) Campingplätze in dieser grandiosen Natur nutzen. Wäre es in der Nacht nicht so ..kalt. Bis zu -10 Grad und kälter: nee, nee, nicht freiwillig ;-)
Mal schauen was das sonnige Kalifornien für Temperatuern in April zu bieten hat. Nach Vancouver geht es nämlich den derzeitigen Lisica Aussenposten besuchen. Mal sehen ob Almir den grauen Wolf aus München auf ne Studentenparty mitnimmt D-)